Radikal
hielt aber über die Regale hinweg losen Blickkontakt, was wegen Kais Körpergröße nicht schwierig war. Als Nächstes nahmen sie zwei benachbarte Rolltreppen in den zweiten Stock, verließen dort den Media Markt wieder, betraten eine Zara-Filiale, wo Kai Hemden und Gürtel begutachtete, liefen dann über die Treppen im Inneren des Kleidungsgeschäfts nach unten ins Erdgeschoss zurück, und schließlich ins Freie hinaus.
Dann nahm Kai die Treppe zum U-Bahn-Schacht der U 2 ins Visier. Samson folgte ihm, und nebeneinander stiegen sie die Treppen hinunter. Modriger Geruch schlug ihnen entgegen, nichts, aber auch gar nichts war typischer für Berlin als dieser Geruch am Eingang von U-Bahnhöfen, schoss es Samson durch den Kopf. Am Fuße der Treppe hatte sich ein Akkordeonspieler eingerichtet. Kai warf dem jungen Mann ein Euro-Stück in den aufgeklappten Koffer und stellte sich davor. Samson vermutete, dass Kai diesen Platz mit Bedacht als Ort ihrer Unterredung auserkoren hatte – und zwar wahrscheinlich, nachdem er ihn schon vor Stunden oder am Vortag gestestet hatte. Der Lärm des Musikers würde es jedem unmöglich machen, ihrem Gespräch zu folgen: white noise.
Samson wusste, dass sie trotzdem nicht viel Zeit haben würden, wenn sie nicht auffallen wollten. Also eröffnete er selbst das Gespräch. »Kai, was ist passiert?«
»Pass auf, hör genau zu. Ich hab dir doch erzählt, dass ich Gisela Munkelmann unter Wind habe, mehr oder weniger inoffiziell,niemand weiß so richtig davon. Gestern Abend hat sie Besuch von ihrem Bruder bekommen. Kennst du Cord Munkelmann?«
»Mittlerweile weiß ich zumindest, dass er bei Lutfi Latif im Büro arbeitet.«
»Genau. Er hat vor ihrer Wohnung geparkt und mit ihr über die Gegensprechanlage gesprochen. Sie kam fünf Minuten später runter. Sie sind mit ihrem Wagen losgefahren, ein irre Route. Erst zum ICC , tief im Westen. Dann über Umwege nach Köpenick, das hat alleine anderthalb Stunden gedauert. Dann Tempelhof, einmal um den Flughafen rum. Dann kreuz und quer durch Neukölln. Dann zum Südkreuz. Da haben sie das Auto geparkt, in einer Seitenstraße. Sie haben einen Regionalexpress genommen, bis Bernau. Dann wieder zurück nach Westen. Bis Spandau. Dann ein Taxi. Und da haben wir sie verloren. Ihr Handy ist jetzt tot. Seines ist auch nicht erreichbar. Sieht aus, als wären sie untergetaucht.«
»Bist du sicher?«
»Samson, ich würde mich sonst nicht mit dir treffen.«
»Warum, glaubst du, sind sie untergetaucht?«
»Stell dich nicht blöder, als du bist. Weil sie was weiß oder weil er was weiß oder weil beide was wissen.«
»Was bedeutet das?«
»Rechne es dir selbst aus.«
»Aber du weißt so gut wie ich, dass es nicht passt. Das Video. Zum Beispiel.«
»Samson, ich sehe, was ich sehe, o. k.? Ich bin kein Bulle, o. k.? Ich muss nichts aufklären. Aber ich rieche es, wenn etwas stinkt. Und das hier stinkt. Mächtig.«
»Ist dir in den Tagen zuvor irgendetwas bei ihr aufgefallen?«
»Nein, außer dass sie extrem wenig getan hat. War eigentlich nur zu Hause. Als würde sie auf etwas warten. Auf der Mauer, auf der Lauer, sozusagen«
»Kai, glaubst du, sie hat persönlich etwas damit zu tun?«
»Kapierst du denn gar nichts? Du musst das rausfinden, Samson. Ich kann nicht. Ich muss zurück ins Glied und keine Zicken mehr.«
»Warum?«
»Weil ich nicht auffallen will. Ich bin schon durchgefallen mitmeinem Vorschlag, das Kommando offiziell auf unsere Liste zu nehmen. Die Signale waren sehr klar. Zu klar, für meinen Geschmack.«
»Niemand kann uns hier zuhören, Kai, sag mal einen ganzen Satz dazu.«
»Schön. Ich glaube, dass meine Anfrage ein paar Leute nervös gemacht hat. Bei uns. Beim BKA . In der Politik. Leute, die Sinn kennen. Klar genug?«
»Falls du damit andeuten willst, dass du dir vorstellen kannst, dass Kommando-Leute auch in den Sicherheitsbehörden vertreten sind: ja.«
»Samson, ich weiß immer noch gar nichts. Ich hab keine Mitgliederliste vom Kommando Karl Martell. O. k.? Ich werde auch keine kriegen, weil ich meinen Mann abziehen muss. Er kommt nicht rein, leider. Aber wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was er aufgeschnappt zu haben meint, dann sind ein paar sehr wichtige Herren in meinem Scheißladen, neben meinem Scheißladen und über meinem Scheißladen absolut willens, sich das mal ganz in Ruhe anzuschauen, was das Kommando so vorhaben könnte.«
»Glaubst du, dass sie Mitglieder sind?«
»Keine Ahnung. Vielleicht
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