Radio Miracoli und andere italienische Wunder
sanfterem Tonfall fortfährt: »Nein, welche Mail? … Ah, die müssen wir übersehen haben …« Dabei macht er Fausto hektisch Zeichen, dass er sofort den Computer einschalten soll.
»Solltest du nicht dreimal täglich nachschauen?«, herrscht er Claudio an.
»Uns schreibt doch nie jemand. Ich bin schon ganz depressiv geworden!«
»Ah, natürlich, natürlich, und wie viele sind Sie?«, fragt Sergio und zieht damit unser aller Blicke auf sich. »Ah, verstanden …«, sagt er und reckt traurig Zeige- und Mittelfinger der linken Hand hoch.
»Na toll …«, meint Fausto, dessen ohnehin geringe Begeisterung noch mehr schwindet, und überlässt mir seinen Platz vor dem Computer.
»Hören Sie, ich kann Ihnen jetzt schon zusagen, werde Ihnen aber in ein paar Minuten eine schriftliche Bestätigung mit allen Details schicken … sicher, sicher … danke … Auf Wiederhören …«
Inzwischen tippe ich Faustos Passwort ein – Gehenktseiweraufgibt136 – und warte darauf, dass sich die Seite aufbaut.
»Sicher … sicher …«, wiederholt Sergio, der es noch immer nicht geschafft hat, das Gespräch zu beenden.
Als ich das Postfach mit den Eingängen öffne, sehe ich eine Seite voller Mails in halbfetter Schrift vor mir.
»Was will dieser Idiot, hier steht nichts«, sage ich.
Fausto beugt sich über den Computer und reißt mir die Maus aus der Hand.
»Das fehlt uns gerade noch … lass mal sehen …«, brüllt er mir ins Ohr und bearbeitet die Maus.
Ich will aufstehen, um ihm den Platz zu überlassen, aber er setzt sich auf meine Beine und fängt an, wie wild herumzuklicken. Abu und Elisa stecken neugierig die Köpfe durch die Tür. Sergio beendet barsch das Telefonat und gesellt sich wütend zu uns. Fausto ist durcheinander und verflucht die Langsamkeit des Computers, während wir Zeugen werden, wie sich auf dem Bildschirm ein Fenster nach dem anderen öffnet.
»Willst du dich vielleicht mal wieder beruhigen?«, sagt Sergio.
»Es ist alles voller Mails … von Gästen … ein Paar jetzt am Wochenende, sechs Personen am nächsten!«
Da uns in der Tat bisher nie jemand geschrieben hatte, war ich so verwirrt, als ich die erste Seite voller Mails in halbfetter Schrift sah, dass ich dachte, dies seien alte, bereits gelesene Nachrichten.
»Lasst mich mal ran«, sagt Sergio und scheucht uns beide vom Stuhl.
»Die hier wollen wissen, ob das Phänomen der himmlischen Musik nur bei Vollmond auftritt, und wenn ja, welche Mondphase wir am kommenden Wochenende haben …«, liest Sergio laut vor.
»Was soll das denn heißen?«, frage ich.
»Das ist doch egal. Schreib einfach, dass das in jeder Mondphase passiert, und damit hat sich der Fall«, meint Fausto.
Es liegen ungefähr fünfzehn Reservierungen vor, die alle in den letzten beiden Tagen eingegangen sind. Angesichts unserer Geldnot geben wir den größeren Gruppen den Vorrang, auch wenn das nicht korrekt ist. Den anderen teilen wir voller Genugtuung mit, dass die Nachfrage momentan sehr groß ist und wir deshalb leider keine Zimmer zur Verfügung haben. Zwei antworten sofort und bitten uns, das nächste freie Wochenende zu reservieren.
Nachdem wir auch die letzte Mail beantwortet haben, wird erst mal gefeiert. Wir schleppen Holz nach draußen und errichten ein Lagerfeuer. Dann entkorken wir eine Ballonflasche mit Rotwein und springen im Gras herum, um die Giulia aufzuwecken. Als endlich Musik erklingt, wandern unsere erwartungsvollen Blicke zu Vito hinüber.
»Der Herbst von Vivaldi!«, erklärt er.
»Vivaldi!«, wiederholt Fausto. Endlich hat er einen Namen erkannt.
Wir trinken auf Vivaldi. Wir trinken auf die Giulia. Wir trinken auf die Casa dei Pazzi und auf die jungen Leute, die das Gerücht in Umlauf gebracht haben. Als wir schließlich alle im Gras liegen, stoßen wir auf uns an.
62
Abu, unserem Spion im Dorf, ist es gelungen, ausfindig zu machen, wem der Lieferwagen gehört, mit dem der Müll auf den Schuttplatz befördert wird. Es handelt sich dabei um zwei Männer mittleren Alters, wahrscheinlich Brüder, denen ein kleines Umzugs- und Reinigungsunternehmen gehört, das irgendwo isoliert am Rand des Dorfes liegt.
Wie immer setzt Sergio erst mich und Fausto von seinem Plan in Kenntnis, ehe wir – mit der bereinigten Fassung – den Rat unseres Schamanen einholen.
»Also, Claudio, der Plan sieht folgendermaßen aus: Wir mieten uns einen Kipplaster, beladen ihnen mit so viel Müll wie möglich und kippen diesen beiden Schweinen das Ganze vor die Tür«,
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