Radio Miracoli und andere italienische Wunder
»Fängst du schon wieder an!« Einmal habe ich versucht, die Situation ins Lächerliche zu ziehen, und den Typen nachgeäfft: » Sonst was? Wie alt bist du? Zehn? Lass den Scheiß!« Alles cool bis zu der letzten hämischen Bemerkung, auf die sofort erneut ein »Sonst was?« von meinem Herausforderer folgte. Eine letzte, sehr bürgerliche und daher vor allem bei Gegnern bildungsferner Herkunft wenig wirksame Möglichkeit ist die, mit einer Anzeige zu drohen. Ich greife nur äußerst selten darauf zurück und nie in Gegenwart von Frauen. Bekanntlich wollen Frauen davon träumen, einen furchtlosen Helden an ihrer Seite zu haben, stets bereit, sich zu prügeln, selbst wenn man nur einen Meter sechzig misst und um die fünfundvierzig Kilo wiegt. Man sollte den Frauen niemals ihre Illusionen rauben.
Nach einem kurzen Wortgeplänkel zwischen dem Gesträhnten und dem Plebejer geht es ungefähr folgendermaßen weiter:
»Ist mir doch scheißegal, ob das ein Fehler der Sekretärin war – Sie rücken auf der Stelle mit den neunundvierzig Euro raus«, droht der Plebejer und bohrt dem Makler den Finger in die Brust.
»Nehmen Sie sofort diesen Finger weg.«
»Sonst was?«
Als die Spannung ihren Siedepunkt erreicht und sich die beiden Kontrahenten mit drohender Miene gegenüberstehen, entfährt dem schmächtigen Pechvogel ein Furz. Kurz und trocken, mit einem kleinen Nachschlag. Ungläubig drehen wir uns zu ihm um. Hektisch versucht er, sich zu rechtfertigen.
»Entschuldigung, das sind nur die Nerven …«
Die plötzlich surreal anmutende Situation verschafft dem Immobilienmakler eine unverhoffte Gelegenheit zur Flucht. Er wirft uns einen letzten Blick zu, als wären wir eine Horde Penner, und entzieht sich dem provozierenden: »Sonst was?« mit einem schlichten: »Ach, was soll’s!«
Mit einer Aussage hatte der Immobilientyp allerdings recht: Das Dorf ist tatsächlich nur zehn Autominuten entfernt. Das historische Zentrum ist hübsch, doch kaum verlassen wir die von Bäumen gesäumte kleine Piazza, stoßen wir auf eine Reihe von Wohnblocks aus den Sechzigerjahren, einer hässlicher als der andere und sichtlich ohne Plan und Verstand hochgezogen. Von den Fenstern eines sechsstöckigen Bürohauses kann man fast auf die Balkone eines stattlichen Gebäudes aus den Zwanzigerjahren greifen, das nebenan liegt. Wir passieren eine Bausünde nach der anderen, bis wir auf eine Bar stoßen und beschließen, dort noch etwas zu trinken, bevor wir nach Hause zurückfahren. Fausto und Claudio, so heißen der sportliche Plebejer und der Schwächling, setzen sich wortlos an einen Tisch im Freien, sezieren in Gedanken den Streit und überbieten sich wahrscheinlich an schlagfertigen Antworten, die ihnen vorhin nicht eingefallen sind. Ich konzentriere mich derweil auf eine Schiefertafel, die hinter Claudio hängt und auf der für eine kleine Auswahl an Wein und Bier geworben wird.
»Alopecia areata – kreisrunder Haarausfall«, sagt Claudio missmutig zu mir.
Ich brauche ein paar Sekunden zu lange, um zu reagieren, und meine Rechtfertigung klingt daher wenig überzeugend.
»Ich habe mir die Getränkekarte angesehen«, beteuere ich.
»Das vergeht wieder. Liegt am Stress. Macht es euch was aus, wenn wir den Tisch wechseln?«
Wir folgen seinem Blick. Wie gebannt starrt er auf das Dach des Gebäudes.
»In der Gegend hier weiß man nie, wie solide sie bauen … und wir sitzen genau unter dem Dachsims«, erklärt er uns.
Fausto schaut mich an. In seinem Blick liegt jenes nachsichtige und doch heimtückische Mitleid, das die Nazis einem Geisteskranken gegenüber an den Tag gelegt haben mögen. Kommentarlos ziehen wir an den Nebentisch um. Während Claudio unter Berücksichtigung der ballistischen Kurve eventuell herabstürzender Gebäudeteile seinen Stuhl positioniert, versuche ich, das Thema zu wechseln.
»Was soll’s, denken wir nicht mehr daran. So haben wir wenigstens ein bisschen frische Landluft geschnuppert!«
»Aber ich verstehe immer noch nicht, was das sollte! Was habe ich davon, wenn ich erst einen falschen Preis angebe, um daraufhin zu erklären, dass der richtige fast dreimal so hoch ist?«, platzt Fausto heraus.
»Vielleicht war es wirklich ein Fehler«, wende ich ein.
»Umso ärgerlicher! Wenn es tatsächlich ein Fehler war, dann ist es umso schlimmer! Weil man, verdammt noch mal, seine Arbeit anständig erledigen soll. Und genau deshalb, weil niemand mehr weiß, wie man seine Arbeit macht, geht dieses Land vor die
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