Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Zeltplane in der Hand, die er über das Autodach wirft. Sorgfältig zupft er die Plane auf allen vier Seiten zurecht. Ein wenig zu sorgfältig für unseren Geschmack.
»Der spinnt doch«, flüstert Fausto mir zu.
»Na ja, warum soll er …«, erwidere ich.
Die Afrikaner ziehen ihre T-Shirts über ihre verschwitzten Oberkörper und treten, ebenso phlegmatisch, wie sie gekommen sind, ihren Rückweg über die Felder an.
»Ihr habt zweieinhalb Stunden, um das Loch zuzuschaufeln«, sagt Abu.
Wir antworten mit einem Nicken, verplempern aber wertvolle Minuten, indem wir reglos verharren und den kraftvollen, schlanken Gestalten nachsehen, die in der Dunkelheit verschwinden.
»Er könnte uns damit erpressen«, erklärt Fausto.
Wir sind zu müde für eine ernsthafte Diskussion über alle Risiken, die Abus Komplizenschaft mit sich bringen könnte, und greifen mit blasenübersäten Händen wieder nach den Spaten. Die Angst, bei Tageslicht mit einer erst halb zugeschaufelten Giulia dazustehen, verleiht uns die Kraft, mit gesenkten Köpfen weiterzuarbeiten, ohne über unsere Schmerzen zu klagen.
Gegen halb fünf Uhr morgens ist das Werk fast vollendet, und uns erfasst ein vollkommen unmotivierter Begeisterungsschub.
»Wir haben es geschafft!«, juble ich.
»Großartig!«, stimmt Sergio mit ein.
»Morgen kaufen wir Grassamen, und in zwei Wochen wächst hier die schönste Wiese.«
Unsere beiden Muskelprotze verteilen die übrig gebliebene Erde in den Mulden, während Claudio und ich dafür zuständig sind, den Boden festzutreten und mit den Schaufelblättern zu glätten. Am Himmel funkeln außergewöhnlich viele Sterne, und man kommt sich vor wie in einem Planetarium. Ein gutes Omen, wie uns scheint. Unter einem solchen Himmel muss alles gut werden. Sergio wirft die letzte Schaufel Erde in ein kleines Loch, und ich stampfe die Oberfläche mit den Füßen fest.
»Erledigt«, sage ich und besiegle die Aktion mit einem letzten Schaufelwurf.
Wäre in diesem Moment Wasser aus der Erde gesprudelt, wäre unsere Bestürzung wesentlich gemäßigter ausgefallen. Stattdessen dringen durch den Boden direkt unter meinen Füßen die Klänge einer Geige.
»Ach, nein! Hast du etwa das Radio angelassen?«, fragt Fausto mit Fistelstimme.
»Ich habe es nicht einmal angefasst«, erwidert Sergio.
Müde und verblüfft sinken wir einer nach dem anderen zu Boden, eingehüllt von der Musik, die dumpf und schwach aus der Erde dringt. Die Situation ist absolut surreal, doch irgendwie auch wieder schön. Über uns die Sterne, unter uns die Musik. So bleiben wir liegen, bis der erste zarte Schein der Morgenröte am Horizont erscheint, vielleicht aus Erschöpfung, vielleicht aber auch in der Hoffnung, dass die Batterie früher oder später ihren Geist aufgeben wird.
16
Von wegen. Am nächsten Morgen zwingen uns die Klänge eines Triumphmarsches aus dem Autoradio der Giulia zu der Einsicht, dass es wohl an der Zeit ist, sich gründlicher mit unserer Situation auseinanderzusetzen. Sergio ist ins Dorf gegangen, um Werkzeug und anderes Arbeitsmaterial zu kaufen, und wir nützen die Gelegenheit, um uns zu einer Lagebesprechung am Küchentisch zu versammeln. Dabei kommen wir zu dem Schluss, dass wir uns keinesfalls zu Geiseln eines Verrückten machen lassen dürfen, der wiederum einen Camorrista als Geisel genommen hat. Vielmehr sollten wir mit Logik an die Sache herangehen und versuchen, uns mit dem kriminellen Subjekt zu einigen.
»Das wird aber nicht leicht werden. Der Kerl ist arrogant und fühlt sich sehr stark. Es sind schließlich Typen wie er, die hier das Sagen haben«, gebe ich zu bedenken.
»Von wegen stark. Das sind doch alles arme Schweine, die nichts mehr zu verlieren haben«, wendet Fausto ein.
Er steht auf, massiert seine Bauchmuskeln und rückt seine Rolex zurecht. Mittlerweile habe ich begriffen, dass Gesten wie diese Vorboten seiner wirren Vorschläge sind.
» Forza, ragazzi , analysieren wir diese Camorristi doch mal. Das ist schließlich unser Job. Wir beobachten die Leute, verstehen, wie sie ticken, und schon wissen wir, wie wir sie manipulieren können«, fährt er fort.
Claudio schaut mich mit offenem Mund an.
»Ja, los, legen wir die Camorristi auf die Couch«, fordere ich ihn auf, überzeugt, dass niemand meinen ironischen Unterton mitbekommt.
Und in der Tat, Claudio nickt, und Fausto fängt an, auf und ab zu laufen.
»Niedriges Bildungsniveau, Unterschichtkultur, Schlendrian und schönes Leben …«, zähle ich
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