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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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steigt er über Claudios leblosen Körper hinweg und läuft wütend aus der Küche. Der Ohnmächtige gibt derweil ein Röcheln von sich und rollt sich auf den Rücken. Ein Auge funkelt lebhaft, während das andere vollkommen nach innen verdreht ist. Das wache Auge fängt an, sich umzuschauen.
    »Entschuldigt … entschuldigt …«, stammelt Claudio.
    »Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?«, frage ich ihn.
    »Entschuldigt … das ist die Anspannung. Ich halte diesen Stress nicht mehr aus«, sagt er und setzt sich auf.
    Wir helfen ihm auf die Beine. Er schwankt einen Moment, dann schiebt er unsere helfenden Hände von sich und macht sich auf den Weg in sein Zimmer.
    »Diese ganze Anspannung tut mir nicht gut!«, ruft er uns von der Treppe aus ein letztes Mal zu.
    Wir schauen ihm besorgt nach, bis er um die Ecke verschwunden ist.
    »Das wird ja immer schöner«, meint Sergio.
    »Aber er hat recht. Dieser Stress tut keinem gut. Wenn wir so weitermachen, können wir gleich alles vergessen«, sage ich.
    Der Satz rutscht mir mit einem ungewollt rechthaberischen Unterton heraus, und ich setze bereits an, mich bei Sergio dafür zu entschuldigen, aber er kommt mir zuvor. Kumpelhaft schlägt er mir auf die Schulter. Wir sollten uns jetzt nicht entmutigen lassen, sagt er, und versichert mir, dass er in der Nacht die Lärmfrage gelöst habe und wir folglich kein Problem mehr mit den Arbeitern im Haus haben dürften. Abu bietet an, uns beim Umbau zu helfen. So würden wir eher fertig werden und noch Geld sparen, fügt er hinzu. Die Zuversicht der beiden tröstet mich und bestärkt mich in meinem Entschluss weiterzumachen, der eigentlich Ausdruck reinster Verzweiflung ist. Jetzt, da ich die Verantwortung in erfahrenere Hände legen kann, fühle ich mich gleich viel besser. Mein Leben ist schon kompliziert genug, und um so etwas kann ich mich wahrhaftig nicht auch noch persönlich kümmern.

18
    Ich muss dringend an die frische Luft und erkläre mich freiwillig bereit, zum Postamt zu fahren, um die längst überfälligen Rechnungen einzubezahlen. Ich möchte ein wenig allein sein, um über meinen Vater nachzudenken und vielleicht irgendwo in mir die verschüttete Motivation zum Weitermachen wiederzufinden, aber Fausto fängt mich ab und bittet mich, auf ihn zu warten. Bis er kommt, vertrete ich mir die Beine und gehe bis zu der Stelle, wo die Giulia vergraben ist. Es dringt keine Musik zu mir herauf, und diese vermeintliche Normalität entlockt mir ein Lächeln. Ich werde es wieder nicht schaffen, mein Leben zu ändern, denke ich. Letzten Endes bin und bleibe ich immer derselbe, der seine Probleme nicht löst, sondern nur unter den Teppich kehrt.
    Es ist das erste Mal, dass ich ins Dorf fahre, das heißt, wenn man von dem kurzen Besuch in dieser Bar an der Straße im Anschluss an unsere Besichtigung einmal absieht. Unter einem Dorf stelle ich mir enge, verwinkelte Gassen mit wenig Verkehr, aber umso mehr Fußgängern oder Fahrradfahrern vor. Die Straßen hier sind tatsächlich schmal, aber voller Autos. Kein Mensch fährt Rad, und die Wenigen, die mit ihren Vehikeln nicht die Fahrbahn verstopfen, kurven auf Motorrollern umher, groß wie ein Kleinwagen. Das ist nichts für mich, das ist mir auf den ersten Blick klar. Ich bin zwar in der Stadt geboren und daher an Chaos, Dreistigkeit und Rechthaberei gewöhnt, aber nur bis zu einer gewissen und meines Erachtens nach auch großzügig bemessenen Toleranzgrenze.
    Am Dorfeingang werden wir bereits von den ersten Horden Jugendlicher auf knatternden Mopeds und ohne Helm empfangen. Ich bemühe mich, nicht sofort den Besserwisser herauszukehren und sie herablassend anzugrinsen. Ich verbiete mir jeden Gedanken daran, dass diese idiotische Angewohnheit, keinen Helm zu tragen, weil es unbequem ist, weil man sich die Frisur ruiniert oder weil man sowieso keine Strafe bekommt, jedes Jahr Hunderte von Invaliden produziert – zu Lasten des allgemeinen Gesundheitswesens, oder, besser gesagt, auch zu meinen Lasten. Ich setze meinen Helm nämlich immer auf, und wenn ich nur zehn Meter fahre. An der ersten Kreuzung jedoch sind alle meine guten Vorsätze dahin. Auf Kollisionskurs nähert sich uns ein Motorroller, auf ihm zwei dicke Weiber, vor ihnen auf dem Trittbrett ein kleines Mädchen von ungefähr sechs Jahren. Auch wenn sie von links kommen, treten wir auf die Bremse, um sie vorbeifahren zu lassen. Unser knappes Timing scheint die sensiblen Damen zu brüskieren, denn sie starren uns drohend an,

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