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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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auf, um die Sache in Gang zu bringen.
    »Falsch!«, ruft Fausto und bohrt mir den Finger in die Brust.
    Claudio schüttelt den Kopf. Wie ein hinterhältiger Banknachbar in der Schule.
    »Von wegen schönes Leben! Die machen sich kein schönes Leben. Das schöne Leben ist die Fata Morgana, der sie hinterherjagen, die sie bei der Stange hält und wegen der sie der Organisation treu bleiben … Multilevel-Marketing, meine Lieben, so läuft die Chose!«
    Ich weiß nicht, ob ich Fausto offen ins Gesicht lachen oder ihm beipflichten soll. Mein Zögern erweist sich als fatal.
    »Multilevel, Jungs! Pyramidale Organisation! In so einem System träumen alle davon, leichtes Geld zu machen, aber die Einzigen, die wirklich reich werden, sind die an der Spitze. Alle armen Hunde in den Ebenen darunter verdienen viel weniger, tragen aber ein höheres Risiko.«
    »Und daraus folgt?«, frage ich.
    »Daraus folgt, dass der Typ, den sie heute zu uns geschickt haben, einer von ganz unten ist. Ihr habt doch gesehen, was er für einen Wagen fährt. Der hat kein schönes Leben, der träumt nur davon.«
    »Okay, weiter?«
    »Weiterhin folgt daraus, dass wir unseren Feind jetzt ein bisschen besser kennen und nur noch seinen wunden Punkt herausfinden müssen!«
    Fausto setzt sich wieder, die Ellbogen auf dem Tisch, und stützt den Kopf auf die Hände ab. Zur Abwechslung steht nun Claudio auf und fängt an, hin und her zu laufen, den Blick an die Decke gerichtet, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Mir will einfach nichts einfallen. Ich bin durchaus der Ansicht, dass wir die Sache noch einmal diskutieren sollten, aber tief in meinem Innern hoffe ich, dass wir nicht auf die Idee kommen, jetzt alles hinzuwerfen und unsere Niederlage zu akzeptieren. Ich bin schließlich ein Mann, der seinem Vater den Hintern abgewischt hat, und nicht irgendein dahergelaufener Idiot. Den Part des ohnmächtigen Zuschauers akzeptiere ich nicht mehr. Also konzentriere ich mich. Ich will versuchen, eine Lösung zu finden, aber wenn dabei nichts Erhellendes herauskommt, bin ich bereit, die anderen notfalls auch mit roher Gewalt zu überzeugen. Also: Wir haben es hier mit einem alten Mann am unteren Ende der Pyramide zu tun, einer, der schuftet, damit die anderen reich werden, während für ihn nur die kümmerlichen Reste abfallen. Dieser alte Mann dürfte im Gegensatz zu einem jungen Mann inzwischen kapiert haben, wie der Hase läuft, und wird folglich nur noch an einem ruhigen Lebensabend interessiert sein.
    »Ich hab’s!«, ruft Claudio und reißt mich aus meinen Gedanken.
    »Dann schieß mal los«, fordert Fausto ihn auf.
    »Er ist einer von denen, die ganz unten in der Hierarchie stehen, für ihn bleiben immer nur die Reste … Wie hoch dürfte sein Anteil sein? Fünf Prozent? Zehn Prozent? Wir bieten ihm das Doppelte!«
    »Ich verstehe kein Wort«, sage ich.
    »Wir bezahlen ihn. Statt einiger Tausend Euro kostet uns das nur ein paar hundert. Nicht schlecht, oder?«
    »Und wie will er das seinem Boss erklären, wenn er ohne Geld bei ihm auftaucht?«
    »Sein Problem. Deswegen bekommt er von uns ja das Doppelte, damit er sich ein Märchen einfallen lässt. Das ist sein Problem«, wiederholt Claudio.
    »Na ja, da dürfte uns noch etwas Besseres einfallen«, meint Fausto, um die Truppe nicht vollends zu demotivieren, ehe er wieder in der Pose des Denkers erstarrt.
    »Menschen, die nichts zu verlieren haben … nichts zu verlieren haben …«, murmelt Fausto vor sich hin.
    Ein Scheißleben, eine Scheißfamilie, Scheißfreunde. Stimmt schon, diese Typen haben wirklich nichts zu verlieren. Man sollte sich nie mit jemandem anlegen, der nichts mehr zu verlieren hat. Und da haben wir den wunden Punkt. Diese Typen werden vorstellig bei Leuten, die etwas zu verlieren haben, und zwar ruhige Abende vor dem Fernseher, hin und wieder einen Samstagabend im Restaurant, zwei Wochen Urlaub am Meer, und das reicht ihnen schon, um sich unbesiegbar zu fühlen. Ich sehe zwar noch keine Lösung, aber allmählich bricht sich in mir ein Gedanke Bahn. Ein Camorrista sollte sich niemals mit jemandem anlegen, der in derselben Situation ist wie er und nichts zu verlieren hat. Mit Typen wie uns, zum Beispiel.
    Verschanzt in Claudios Zimmer, das am weitesten von dem Sergios entfernt liegt, setzen wir drei mitten in der Nacht unser geheimbündlerisches Brainstorming fort. Die Perioden des Schweigens werden immer länger, und es wird immer mühsamer, den Müdigkeitsanfällen zu trotzen. Die

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