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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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die geballte Faust in die Höhe.

15
    Claudio zu überzeugen war ein schweres Stück Arbeit. Nachdem wir ihn am späten Nachmittag zweimal mit den Koffern in der Hand gerade noch abfangen konnten, ist es uns letztendlich nur dadurch gelungen, ihn von einer Flucht abzuhalten, indem wir drei eine Erklärung unterschrieben, die ihn von jeglicher Verantwortung für unseren Plan freisprach. Dafür haben wir sofort eine Lösung gefunden, wie wir die grüne Giulia verschwinden lassen können.
    Bei Sonnenuntergang steigen wir alle hinab in die ursprünglich für den Pool geplante Grube und beginnen, eine Wand zu einer Rampe abzuflachen, über die wir den Wagen hinunterfahren können. Während wir entschlossen die Schaufeln ins Erdreich stoßen, wiederholen wir im Geist wohl alle im Rhythmus dieselben vier Wörter: Wir-machen-eine-Riesendummheit.
    Die Erde ist locker und bietet den Schaufeln keinen großen Widerstand. Nach einer Stunde haben wir erst einen Teil der Rampe abgetragen, sind aber bereits hundemüde. Um die Situation noch zu verkomplizieren, taucht plötzlich Abu in seinem trägen Gazellengalopp aus der Schwärze der Nacht auf und kommt direkt auf uns zu. Wir haben gerade noch Zeit, uns darauf zu einigen, welche Mär wir dem Afrikaner auftischen wollen, als sein Kopf am Rand der Grube erscheint.
    »Ciao, Abu«, sage ich. »Sergio, das ist Abu, er arbeitet hier nebenan auf den Feldern …«
    Ich bin mit meiner Vorstellung noch nicht fertig, als der Afrikaner bereits in das Erdloch springt, mir die Schaufel aus der Hand nimmt und zu graben beginnt.
    »Was soll das werden?«, fragt Fausto.
    »Ich helfe euch«, erwidert Abu.
    »Das ist nicht nötig«, wende ich ein. »Den Swimmingpool brauchen wir erst im Sommer. Bis dahin ist noch Zeit …«
    »Ich habe alles gesehen. Es ist besser, wenn wir heute Nacht damit fertig werden«, meint Abu.
    »Wer hat es noch gesehen?«, fragt Sergio.
    »Sie«, antwortet der Afrikaner und deutet in Richtung der Felder.
    In der Ferne sehen wir zwei weitere Afrikaner auf uns zukommen. Sie sind jünger als Abu, um die zwanzig vielleicht, und mit Jeans und weiten T-Shirts wie Rapper gekleidet. Auch sie springen sofort in das Erdloch und greifen nach den Schaufeln.
    »Äh, was ist das, eine Invasion? Sind wir vielleicht im Krieg mit Nigeria, nur dass uns keiner was davon gesagt hat?«, wendet sich Fausto fragend an mich.
    »Wir kommen aus Ghana«, antwortet einer der jungen Männer, ohne den Blick zu heben.
    »Das dauert länger als gedacht. Wir sollten uns mal um den Gefangenen kümmern«, sagt Sergio und gibt mir zu verstehen, dass ich ihm folgen soll.
    »Wo geht ihr hin? Ihr wollt mich doch nicht mit diesen … äh?«, fragt Fausto.
    Das Wort »Gefangener« lässt mich zusammenzucken. Mechanisch wie ein Roboter folge ich Sergio, ohne mich um das Gejammer von Fausto und die verblüfften Blicke von Claudio zu kümmern.
    Wir binden den Camorrista los, packen ihn rechts und links unter dem Arm und schleppen ihn in den Keller hinunter. Kaum haben wir ihm den Knebel aus dem Mund genommen, fängt er an zu brüllen. Er wirkt vollkommen verändert und scheint verwirrt, da er unsere Reaktion nicht einordnen kann und nicht begreift, was wir im Sinn haben. Bei uns haben die ein Leben lang erfolgreich angewendeten Floskeln, Gesten, sein Augenzwinkern und das ironische Lächeln versagt. Jetzt weiß er nicht mehr, was er machen soll – außer zu brüllen. Wir suchen den Keller nach gefährlichen Gegenständen ab, aber bis auf zwei leere Flaschen, die wir mit nach oben nehmen, ist nichts zu finden.
    Da unser Gefangener noch immer laute Schreie ausstößt, machen wir die Probe aufs Exempel und sperren die Kellertür ab: Seine Stimme dringt angstvoll hindurch. Nachdem wir die Treppe hinaufgestiegen sind und oben auch noch die Küchentür geschlossen haben, hört man bis auf ein kaum zu vernehmendes »Mist, verdammter!« fast nichts mehr.
    »Es könnte funktionieren«, meint Sergio. »Wenn wir die Türen mit schalldämpfendem Material abdichten, können wir eigentlich ganz beruhigt sein.«
    Unglaublich, aber wahr, ich bin schlagartig ruhiger.
    Gegen drei Uhr morgens sind wir endlich mit der Arbeit fertig und werfen uns keuchend ins Gras. Sergio steigt in die Giulia, lässt den Motor an und fährt mit angezogener Handbremse im ersten Gang die Rampe hinunter. Dann stellt er den Motor ab, entfernt mit einem Taschentuch die Fingerabdrücke auf dem Lenkrad und verlässt das Cockpit mit einer wasserdichten

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