Radio Miracoli und andere italienische Wunder
lediglich das Metallgerüst stehen geblieben. Wir überqueren ein Geviert, das einmal ein Volleyballfeld gewesen sein mag, und betreten die Umkleideräume, durch flache Pfützen watend. Irgendwo tropft Wasser, und das vielfach zurückgeworfene Echo jagt mir einen Schauer über den Rücken. Aus den Sanitärräumen sind alle Toiletten und Waschbecken verschwunden, die Spiegel sind zerbrochen, ebenso die Lampen. Die Zwischendecke ist heruntergerissen.
»Bist du sicher, dass er noch da ist? Hier haben sich doch schon alle bedient …«, sagt Sergio.
Man kann sich kaum vorstellen, dass irgendein Teil den Plünderungen entgangen sein könnte. Hier in der Gegend wird alles, was man nicht wegtragen kann, kaputtgeschlagen. Der Schein von Abus Taschenlampe fällt auf einen Stapel weißer Fliesen, die sich von der Wand der Dusche gelöst haben.
»Könnt ihr die gebrauchen?«, fragt er.
»Was meint ihr? Für das Bad in der Dependance?«, schlage ich vor.
Da mir keiner antwortet, füge ich hinzu: »Schließlich kosten sie nichts!«
»Was soll der Scheiß? Du kommst mir vor wie meine Ex bei Ikea!«, knurrt Fausto.
Wir biegen in einen Korridor ab und stehen vor einer schmalen Treppe. Sofort liegt mir einer der folgenden Sätze auf der Zunge: »Geht ihr mal vor, ich halte Wache«, oder aber: »Da war ein Geräusch. Ich gehe mal nachschauen.« Irgendein Ammenmärchen muss ich mir einfallen lassen, denn dort hinunter gehe ich auf keinen Fall.
»Hier ist es«, sagt Abu.
»Unglaublich, er ist tatsächlich noch da …«, meint Sergio.
Die Neugier treibt mich doch dazu, die Treppe hinunterzusteigen. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und erblicke über Abus Schultern hinweg einen Heizkessel in schlechtem Zustand, aber an seiner ursprünglichen Stelle.
»Er ist zu groß für ein normales Haus. Deshalb steht er noch hier«, erklärt Abu.
In Wahrheit ist er so groß wie ein kleiner, zweitüriger Schrank. Irgendjemand hat ihn mit wütenden Stockhieben traktiert, nachdem klar war, dass man ihn nicht wegtragen konnte, aber bis auf die verbeulte Luke scheint er nicht beschädigt zu sein.
In weniger als einer Stunde haben wir den Kessel von der Mauer gelöst. Dann montieren wir die Rohre ab und bauen uns eine Tragevorrichtung, um ihn abtransportieren zu können.
Von Abus Haus bis zu unserem Gehöft müssen wir uns allein durchschlagen. Sergio geht voran, während Fausto und ich die Last zwischen uns aufteilen. Abus Fehlen macht sich schmerzlich bemerkbar. Außerdem ist es stockfinster, da der Mond inzwischen hinter dichten Wolken verschwunden ist. Mir tun die Arme weh, und ich stolpere mit unsicheren Schritten hinter Sergios Brummtönen her, an denen ich mich wie an einem Sonargerät orientiere.
»Das ist jetzt ihr Problem«, brummt Sergio.
»Wen meinst du?«, frage ich.
»Jetzt haben wir auch noch einen Krieger-Häuptling. Die machen wir fertig.«
»Wie, traust du dem Kerl vielleicht? Er sagt, er ist ein Häuptling, und du glaubst das? Vielleicht ist er ein stinknormaler Gauner. Von wegen Krieger«, höhnt Fausto.
»Klar doch. Wenn er blond wäre und ein weiches R spräche, dann würdest du nicht daran zweifeln, aber da er schwarz ist, muss er ja ein Verbrecher sein. Schließlich hat er uns geholfen, ohne etwas dafür zu verlangen. Warum sollte er uns also Lügen auftischen?«
»Wir haben schon genügend Probleme, auch ohne unseren Krieger-Häuptling. Glaubt ihr vielleicht, dass die drei in unserem Keller sich für immer brav und leise verhalten werden? Die brüten bestimmt schon was aus, und beim ersten falschen Schritt …«, unkt Fausto.
»Dann machen wir eben nichts falsch«, Sergio.
Sergios Zuversicht überzeugt mich davon, mich nicht an der Diskussion zu beteiligen. Nicht zuletzt deswegen, weil ich gerade in eine schlammige Pfütze getreten bin und mir der Schlamm bis zu den Knöcheln steht. Beim Herweg sind wir weder durch hohes Gras noch durch Schlammpfützen gewatet, also müssen wir uns verlaufen haben. Ich schüttle meinen schweren Fuß und befreie ihn von der feuchten Erde, die in dicken, festen Klumpen von der Sohle fällt. Als ich mich umsehe, steigt Unruhe in mir hoch. Ich erkenne nichts, und in der Dunkelheit schaut alles gleich aus.
»Da wären wir«, lässt sich Sergio am Kopf der Truppe vernehmen.
»Wird auch Zeit«, meint Fausto.
»Na endlich!«, sage ich seufzend.
Ein Klavierkonzert gibt uns unmissverständlich zu verstehen, dass wir tatsächlich unseren Hof erreicht haben. Seit einigen Tagen war
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