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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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bringe, könnte ich die anderen überzeugen.
    »Wir müssen zur selben Strategie greifen, wie sie der Staat bei uns anwendet«, sage ich zu Sergio.
    Fausto schaut mich mit großen Augen an und wartet auf den Rest meiner schlauen Bemerkung. Bisher kann er nämlich noch nicht lachen.
    »Das Land befindet sich in einer Krise … wir verlieren Haus und Arbeit, während die Banker, die den ganzen Schlamassel verursacht haben, immer noch ihre Boni einstecken. Von den Politikern kriegen wir zu hören, dass wir immer später in Rente gehen sollen, während sie sich nach fünf jämmerlichen Jahren im Parlament die höchsten Pensionen genehmigen. Wir müssten eigentlich alle stinksauer sein und auf die Straße gehen. Und stattdessen – nichts, und warum?«, beschließe ich meine Ausführungen.
    »Und warum?«, fragt Fausto verblüfft.
    »Weil sie uns mit Drogen betäuben … uns mit den falschen Versprechungen von Glücksspielen ruhigstellen! Auf die Straße zu gehen, das ist der falsche Weg, um die Krise zu überwinden, denken sich die Leute. Da rubbelt man sich doch lieber die Finger wund. Und genauso müssen wir es machen. Wie der Staat!«, doziere ich. Meine Argumente rufen ein Leuchten in Sergios Augen hervor, das schon fast an Liebe grenzt.
    »Mit Rubbellosen?«, fragt Fausto.
    »Genau, mit Rubbellosen!«, frohlockt Sergio.

26
    Zum ersten Mal ist unser Leben so voller Überraschungen und unvorhergesehener Wendungen, dass wir nicht das geringste Bedürfnis verspüren, die Löcher mit Ersatzemotionen zu stopfen. Nur Claudio besteht weiterhin darauf, den Fernsehapparat zu festen, von den Nachrichtensendungen vorgegebenen Zeiten einzuschalten.
    Als wir in das Wohnzimmer kommen, sehen wir, wie er gebannt auf den Bildschirm starrt und eine Sendung über einen häuslichen Streit verfolgt, der in einer Tragödie endete. Claudio kommt uns vor wie ein Kind vor einer Werbesendung für Spielzeug.
    »Ja, und dann wundern wir uns, warum er so paranoid ist!«, sagt Fausto zu mir.
    »Es reicht, Claudio. Schalte den Fernseher aus!«, rufe ich laut.
    Claudio dreht sich um, schaut aber sofort wieder auf den Bildschirm. Auf den Bericht über den häuslichen Streit folgt eine Reportage über eine Mutter, die zuerst ihre drei Monate alte Tochter und dann sich selbst umgebracht hat. Die Sätze der Journalistin sind mit herzzerreißenden Klängen unterlegt. Wir setzen uns neben Claudio, der uns nur eines flüchtigen Blickes würdigt.
    »Wieso machst du das?«, frage ich.
    »Was?«, erwidert er.
    »Wieso schaust du dir solche Sendungen an? Das tut dir nicht gut!«
    »Um mich zu informieren. Man muss doch wissen, wie es zugeht auf der Welt«, antwortet er überrascht.
    »Aber das ist doch nicht die ganze Welt.«
    »Hör lieber zu!«, fährt Claudio mich an.
    Auf dem Bildschirm erscheinen die Trümmer eines Autos, die über Hunderte von Metern auf dem Asphalt verstreut sind. Der Reporter spricht von einem Fahrerflüchtigen, der eine ganze Familie ausgelöscht hat.
    »Claudio, das ist nicht die Welt. Das ist nur das, was man in den Nachrichten davon zu sehen bekommt! Das ist ein himmelweiter Unterschied!«
    »Aber diese Dinge passieren wirklich. Deswegen ist es besser, wenn man davon weiß, oder?«
    »Okay, aber inzwischen weißt du, dass es das gibt. Es macht doch keinen Sinn, wenn du dich Tag für Tag mit diesen Katastrophen zudröhnst!«, ereifert sich Fausto.
    »Ich dröhne mich doch nicht zu!«
    »Doch. Das tust du!«, brüllt Fausto.
    »Du schaust dir ständig nur Nachrichtensendungen an. Ich habe nie gesehen, dass du mal einen Film oder eine Kultursendung eingeschaltet hättest!«, gebe ich zu bedenken.
    »Nicht einmal ein Fußballspiel!«, fügt Fausto hinzu.
    »Mir gefällt nun mal das echte Leben!«
    »Das echte Leben besteht aber auch aus anständigen Menschen und aus Freiwilligen, die zum Missionieren in den Kongo gehen. Hast du dir noch nie die Frage gestellt, warum diese Leute kein Thema sind?«, frage ich.
    Fausto schnappt sich die Fernbedienung und tippt, ohne lange zu überlegen, eine dreistellige Ziffer ein.
    »Nein!«, ruft Claudio.
    Auf dem Bildschirm erscheint anstelle eines verwahrlosten Hündchens eine splitterfasernackte Blondine, die mit einem fuchsienroten Vibrator masturbiert.
    »Auch das ist das echte Leben! Jetzt hör schon auf, es dir ständig zu vermiesen, Claudio! Genieße es lieber!«
    »Das ist ja widerlich. Mach den Scheiß aus!«
    Ich versuche, mich der Fernbedienung zu bemächtigen, aber Fausto sitzt darauf.

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