Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Prostituierten und so weiter und so fort. Vor allem der letzte Preis erregt für einen Moment erneut die Aufmerksamkeit der drei, aber sie wissen sich zu beherrschen und stellen keine Fragen, auch wenn man ihnen deutlich ansieht, dass sie es liebend gerne täten.
Wieder in der Küche, lasse ich mir das eben Erlebte noch einmal durch den Kopf gehen.
»Zu Anfang hattest du sie voll überzeugt, aber dass sie ausgerechnet den Hauptpreis erwischen, ist doch eher unwahrscheinlich«, sage ich.
»Was ist daran unwahrscheinlich?«, fragt Sergio.
»Die wissen doch ganz genau, dass wir sie nicht freilassen.«
»Aber natürlich. Sobald wir die fünfhunderttausend eingestrichen haben, stoßen wir den Hof für einen Spottpreis ab und sehen zu, dass wir so schnell wie möglich von hier wegkommen.«
Überrascht nehme ich zur Kenntnis, dass er wirklich fünfhunderttausend und nicht eine Million sagt. Also hat er tatsächlich vor, den Gefangenen ihren Anteil zu überlassen.
»Selbst wenn sie daran glauben, wissen sie ganz genau, dass es praktisch unmöglich ist, den Hauptpreis zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit beträgt …«
»Selbst wenn sie eins zu einer Milliarde betragen würde – es funktioniert trotzdem. Es hat immer funktioniert. Es reicht, wenn sie im Fernsehen sagen, dass jeder kinderleicht gewinnen kann. Die Leute glauben das. Auch wenn sie vielleicht wissen, dass es nicht stimmt, und sogar wenn sie im ersten Moment den Spot für bescheuert halten – die Rubbellose kaufen sie trotzdem. Weil nämlich eine kleine, innere Stimme diesen Leuten einflüstert, dass es möglich ist und dass sie es verdienen, dass das Leben ihnen nie etwas geschenkt hat und dass sie deshalb die idealen Kandidaten für einen Hauptgewinn sind.«
Ich erkenne mich nur ungern in dieser Beschreibung eines durchschnittlichen Idioten wieder. Aber ich gestehe, auch ich habe ironisch gegrinst bei dem Fernsehspot der Lotteriegesellschaft, auch ich habe mir Rubbellose gekauft, und auch ich habe diese innere Stimme vernommen. Mit bitterer Miene, die Sergio jedoch falsch interpretiert, hänge ich diesen Gedanken nach.
»Wenn du es nicht glaubst, dann geh in den Keller, und wirf einen Blick durch den Türspion. Los!«, fordert er mich auf.
Aber das ist nicht nötig, und so folge ich ihm hinaus in den Garten. Ich kann mir bestens vorstellen, wie die drei auf dem Bett liegen und diese vermaledeiten Rubbellose bearbeiten.
28
Abus Anruf erreicht uns zehn Minuten, bevor der schwarze BMW bei uns eintrifft. Diese Zeit genügt uns, um unsere Rollen abzusprechen und um Sergio aus der Gefahrenzone zu schaffen. Das Empfangskomitee wird dieses Mal aus Fausto und mir bestehen, Sergio wird in sicherer Entfernung als Komparse fungieren. Claudio hat darauf bestanden, ebenfalls eine kleine Rolle zu übernehmen, und so haben wir ihn als Zeitungsleser auf dem Sofa besetzt. Denn falls er ohnmächtig werden sollte, wird es aussehen, als schliefe er.
Langsam steigen zwei Männer mit dunklen Sonnenbrillen aus dem Wagen. Der Fahrer schaut sich aufmerksam um, während der andere die hintere Autotür öffnet, ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen. An seinen Arm geklammert, kommt ein siebzigjähriges Männchen in sehr schlechtem Zustand zum Vorschein. Äußerlich macht der Alte zwar einen gepflegten Eindruck, aber sein Gesicht ist eingefallen und faltig. Aus seiner Nase ragt ein Schlauch, der zu einem tragbaren Sauerstoffgerät führt, das er an einem Trageriemen umgeschnallt hat.
»Keine Dummheiten dieses Mal«, flüstere ich Sergio zu, als der seine Position einnimmt.
Der alte Mann kommt auf uns zu, während die anderen beiden neben dem Wagen stehen bleiben und uns nicht mehr aus den Augen lassen.
»Entschuldigt den Überfall«, sagt der Alte zu unserer Überraschung.
»Guten Tag«, erwidere ich und strecke ihm die Hand hin.
Ich hatte eine schwielige und harte Hand erwartet, aber stattdessen ist sie weich und seidenglatt wie die einer Frau.
»Ihr seid also diese Neuen …«
»Ja, wir sind seit ein paar Monaten hier«, entgegnet Fausto.
Das Gespräch nimmt den bekannten Verlauf. Der Alte will wissen, ob wir einen Betrieb aufmachen, und reagiert mit höflichem Nicken auf unsere Antworten. Jetzt wird er uns gleich nach den Genehmigungen fragen, denke ich. Stattdessen hält er plötzlich den Zeigefinger in die Höhe, als wolle er uns auf einen Gedanken aufmerksam machen, der droht, ihm zu entschlüpfen.
»Entschuldigt meine Neugier. Aber kann es vielleicht
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