Radio Miracoli und andere italienische Wunder
gefährlicher sind …«
»Aber kommt es denn nicht mal vor, dass einer von euch keine Lust mehr hat und einfach verschwindet, um woanders ein neues Leben anzufangen?«, frage ich.
»Hin und wieder schon … wenn einer ein paar Drogen auf die Seite geschafft oder einen Batzen Geld in die eigene Tasche gesteckt hat und damit abhaut. Ihr habt doch sicher schon mal von den Toten in Belgien oder Deutschland gehört, oder?«
»Und die beiden Burschen im Keller? Könnten die sich nicht auch abgesetzt haben?«
»Als Erstes werden sie überprüfen, ob was fehlt – eine Lieferung Drogen, Geld. Wenn alles in Ordnung ist, werden sie davon ausgehen, dass man sie umgebracht hat. Was sollen sie sonst schon denken. Typen wie die laufen nicht davon und machen ein Hotel auf. Und wenn, dann würden sie wenigstens ihre Mütter oder ihre kleinen Freundinnen benachrichtigen, oder?«
»Du meinst, wenn bei den Müttern irgendwelche Nachrichten einträfen, dann würden die Bosse zu suchen aufhören?«
»Irgendwann vielleicht. Ich denke schon … aber was weiß ich, so etwas passiert hier nie!«
Vitos Tonfall uns gegenüber ist plötzlich viel sanfter und umgänglicher. Man merkt ihm an, dass er reden und möglichst lange in unserer Gesellschaft bleiben will. Zumindest hat es den Anschein. Er muss sehr hungrig sein, aber er lässt sich Zeit mit dem Essen, da er genau weiß, dass wir ihn wieder in den Keller bringen werden, sobald er fertig ist. Er verhält sich untadelig, etwas zu gehorsam für einen, der eingesperrt wurde. Ich habe den Eindruck, dass er seine Gefangenschaft fast als Urlaub empfindet. Er kann sagen, was er will, ich bin überzeugt, dass er sein Leben im Grunde genommen hasst.
»Wie war das Ragout?«, frage ich, als er den letzten Bissen hinunterschluckt.
»Scheußlich, seid mir nicht böse. Aber das Kochen ist nicht eure Stärke. Ein Ragout, das diesen Namen verdient, muss man mit der Gabel zerteilen können, und es muss im Mund zergehen. Das Fleisch ist viel zu hart …«
»Mir hat es geschmeckt«, erwidert Sergio beleidigt. Ihm haben wir diesen Leckerbissen schließlich zu verdanken.
Danach setzen wir uns hinaus in die Laube zu Claudio und Fausto. Sergio stellt die alte Keksdose auf den Tisch, in der wir die Pistole, die Messer und die Handys der Camorristi versteckt haben.
»Wir haben uns ein Ablenkungsmanöver überlegt. Zwei von uns werden sich ins Auto setzen, irgendwohin fahren und an die Familien der beiden Burschen eine SMS schicken«, verkündet Sergio.
Überzeugt davon, dass unser Sergeant mal wieder eine seiner bizarren Ideen zum Besten gibt, schauen Fausto und Claudio mich grinsend an.
»Wenn wir die Familien wissen lassen, dass sie abgehauen sind und dass es ihnen gut geht, können wir vermeiden, dass diese das Verschwinden der beiden bei der Polizei melden und dass ihre Bosse anfangen, Verdacht gegen uns zu schöpfen«, füge ich erklärend hinzu.
»Und wohin sollen wir fahren?«, fragt Fausto.
»Ziemlich weit weg. Die Handys hinterlassen Spuren, sobald sie eingeschaltet sind. Die letzte Spur ist zwei Tage alt und stammt von hier. Es wird sicher nicht genügen, den Ort zu verlassen. Wir müssen weiter weg, mindestens bis nach Umbrien«, meint Sergio.
»Wo in Umbrien?«
»Was weiß ich, von mir aus auch in die Toskana, wenn euch das lieber ist.«
»Und wem sollen wir simsen?«
»Da müssen wir uns eben etwas einfallen lassen. Wir dürfen die Handys nur ein einziges Mal einschalten. Aber das sollte doch genügen, um sich ein paar SMS anzuschauen und die Nummern von Eltern, Brüdern oder Verlobten herauszufinden.«
»Und wenn wir nichts finden?«, fragt Claudio mit gewohntem Optimismus.
»Es reicht auch, wenn man das Ding ein paar Minuten eingeschaltet lässt oder von mir aus jemanden anruft und auflegt, sobald der sich meldet. Wir müssen nur eine Spur hinterlassen. Aber eine SMS ist natürlich besser. Damit kann man sie länger stillhalten.«
Auch Fausto hat eine Frage. »Einverstanden, aber was sollen wir schreiben?«
»Was weiß ich. Vielleicht reicht es, wenn man schreibt: ›Ich ertrage dieses Leben nicht mehr. Sucht nicht nach mir, ich lasse von mir hören.‹ Irgendetwas in dieser Art.«
»Ja, das klingt gut«, bestätige ich.
»Aber ihr habt die Kerle doch sprechen hören, oder? Dann könnt ihr euch auch vorstellen, wie sie schreiben! Die anderen wissen sofort, dass die SMS nicht von ihnen stammt«, wendet Fausto ein.
»Hör mal, Diego, lass du dir was einfallen. Schau dir
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