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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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wir das bestmögliche Team abgeben würden. Die Zeit
     für Krisensitzungen bei der Konkurrenz war nicht mehr fern.
    »Ich faxe dir vorab eine Liste mit Platten, die ihr einkaufen müßt. Wann ist Sendestart?«
    Ich zog die Stirn in Falten. »In zwei Wochen. Erster Oktober.«
    |131| »Jo, dann müssen wir uns ranhalten. Ich werde versuchen, schon morgen zu fliegen, die kommen hier auch alleine zurecht, ich
     bin ohnehin fast fertig. Wie spät ist es jetzt in Deutschland?«
    Ich sah auf meine Uhr, die war nicht umgestellt, das lohnte sich nicht für die paar Stunden. »Abends, acht.«
    »Ist Voigler noch in der Station?«
    »Aber sicher.«
    »Okay, ich rufe ihn gleich an.«
    Auf dem Rückweg kam mir Omaha etwas hübscher vor. Aber ich war froh, wieder auf dem Weg nach Berlin zu sein. Es gab so viel
     zu tun.
Zwei Wochen
. Was ich Lindsey nicht gesagt hatte: Wir hatten erst drei Discjockeys fest, einen Techniker und einen Menschen, der glaubte,
     Redakteur sein zu können, was ich ihm nicht ganz abnahm. Plus Vögler wie ficken, und ich. Für ein 24-Stunden-Vollprogramm
     war das ein bißchen dünne.

|132| 16. Radio Ga Ga
1990
    Die Sache mit den vierzigtausend Miniradios war meine Idee gewesen: Wir ließen in China kleine, batteriebetriebene Monoempfänger
     bauen, etwa so groß wie mein kleines, gelbes Radio, das ich natürlich immer noch besaß, mit Lautsprecher und Ohrhöreranschluß.
     Der Gag war, daß sich die Frequenz an diesen Radios nicht verstellen ließ:
101,1 MHz und nichts anderes
. Wir verteilten die Dinger kostenlos in der Stadt, Einkaufspreis zweifünfundsiebzig je Stück, was zwar gute hundert Riesen
     kostete, aber einschlug wie eine Bombe. Der Werbeetat betrug über zweihundertfünfzigtausend Mark; wir pflasterten die Stadt
     mit Plakaten und Aufklebern, heuerten Schüler und Studenten an, die schwarz plakatierten und heimlich Aufkleber an Autos anbrachten.
     Kern der Aktion waren die kleinen Radios. Plakate verschwinden nach ein paar Tagen, und es ist irre teuer, häufiger zu plakatieren.
     Hauptwerbeträger waren unsere
One-O-One-One-Minis
, wie die kleinen Radios bald genannt wurden, die Aufkleber. Und natürlich, vor allem, das Programm.
     
    Lindsey kam zwei Tage nachdem ich ihn in Omaha aufgetrieben hatte, sah völlig fertig aus, unrasiert, mit dicken Augenringen,
     endlich wie jemand, der über dreißig ist. Wir fuhren gleich in die Station, und er pfiff durch die Zähne, als wir die Fabriketage
     in Charlottenburg betraten. Neunhundert Quadratmeter, zwei Selbstfahrerstudios, ein Produktionsstudio, ein Sprecherraum, ein
     riesiges Schallarchiv, die Studios nach höchster Akustiknorm, Raum-im-Raum auf ölgelagerten Füßen stehend. Ein Notstromgenerator
     stand bereit, Stromausfälle konnten uns also kaltlassen, es gab Empfangs-und Konferenzräume, Büros und eine Teeküche. Sogar
     einen Zigarettenautomaten, gleich neben der Tür. Ich |133| lächelte und zeigte auf eine Glastür, gleich gegenüber.
Lindsey Cunningham
war in das Milchglas gefräst, nobel, aber cool. Er grinste breit. Vögler kam uns entgegen, irgendwo knallte eine schwere Tür,
     sicher eine von den Studiotüren, und im Hintergrund war recht laut das Gequietsche zu hören, das entsteht, wenn jemand durch
     Hin-und Herdrehen eine bestimmte Bandstelle zu finden versucht.
    »Hi«, sagte er, gab Lindsey die Hand und warf mir einen seltsamen Blick zu. »Du bist der berühmte Lindsey Cunningham?« Er
     nickte seitlich in Richtung von Lindseys Bürotür. Vögler hatte bisher ausschließlich von mir gehört, welche Bedeutung Lindsey
     in den Staaten hatte. Aber das machte ja nichts.
    Lindsey nickte. »Und du bist der berühmte
Voigler wie ficken? «
Er sagte das in deutsch, die drei Worte – das hatte ich ihm im Taxi beigebracht. Vögler lachte.
     
    Während der nächsten zwei Wochen arbeiteten wir rund um die Uhr. Vormittags war Discjockey-Casting, wir kugelten uns vor Lachen.
     Meistens. Manchmal war es schlicht tragisch. Ich hockte abwechselnd mit Vögler oder Cunningham im zweiten Selbstfahrer, während
     junge Menschen, die von sich glaubten, Radiostar werden zu müssen, im Sprecherraum schreiendkomische Versuche ablieferten,
     richtige Moderationen zu sprechen. Es machte kaum einen Unterschied, ob abgelesen oder frei – das meiste war schlicht gottvoll.
     Erstaunte, gerötete, gefleckte Gesichter gab es, wenn wir den Leuten ihre Aufnahmen vorspielten, und ganz schlimm wurde es,
     wenn ich ihnen zeigte, wie es sein
sollte
.

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