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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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großen Chance, dem riesigen Publikum, dem seltsamen Flair Berlins kurz nach der Maueröffnung. Lindsey nickte weiter, höflich.
Keine Chance
stand in seinem Gesicht geschrieben.
    »Ich kann nicht«, sagte er. »Mein Vertrag hier läuft noch zwei Monate, und ich habe schon einen weiteren unterschrieben –
     und einen Ruf zu verlieren.«
    Ich überlegte kurz. »Kann man dich auskaufen?«
    Er überlegte ebenfalls kurz. »Will ich mich auskaufen
lassen

    »Du mußt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das in Deutschland läuft. Radio wird von Beamtenseelen gemacht, von Leuten,
     die Germanistik studiert haben und Publizistik und die deshalb glauben, sie wüßten
irgendwas
, von Großverlagen, die einfach nur die Frequenzen verstopfen mit ihrem üblen, schlechtgemachten Mainstream. Wenn das so weitergeht,
     haben wir da in zehn Jahren nur noch Top-40-Sender, die ihre Hörer
bestechen
müssen, mit gesichts-und namenlosen Ansagern, zentral eingekauften Beiträgen und nächtlichen Mantelprogrammen aus Holland
     oder Belgien. Es ist eine Wüste, und keiner weiß, wie man es besser macht.«
    »Aber
ihr
wißt es.«
    »Na ja.« Ich zwinkerte ihm zu. »Vögler hat ein paar Richtlinien festgelegt, davon abgesehen hätten wir freie |129| Hand. Ich habe ein paar Ideen, aber alles, was mit dem Musikprogramm zu tun hat, läge bei dir. Ich habe nicht die leiseste
     Ahnung, wen wir sonst nehmen sollten – wenn du absagst, muß ich die Programmierung übernehmen.«
    »Um Gottes willen!« lachte er.
    »Ein bißchen was weiß ich schon«, gab ich, übertrieben zickig, zurück. »Aber, Mann, mit dir würden wir der Stadt die Dächer
     wegblasen.«
    »Wie viele Sender gibt es?«
    Flackerte da Interesse auf?
    »Ein gutes Dutzend, siebzehn terrestrisch, genau gesagt, nur UKW,
FM stereo
– in Deutschland hört niemand Mittelwelle,
AM.
Davon die meisten öffentlich-rechtlich, ein paar Spartenprogramme, viel für alte Leute. Keine ernstzunehmende private Konkurrenz,
     noch nicht. Kein Witz, kein Esprit, kein Bumm-Bumm, da donnert nichts; Radio ist in Deutschland ein
echtes
Sekundärmedium, leider. Das will ich ändern. Das wollen
wir
ändern. Du doch auch, oder?«
    »Was interessiert mich Deutschland? Ich weiß nicht mal genau, wo das ist.«
    »Nicht Deutschland,
Berlin
. Berlin hat über sechstausend Kneipen, es gibt das beste Bier der Welt. Keine Sperrstunde.«
    Er nickte. Das war also ein Argument.
    »Außerdem würdest du gut verdienen.
Richtig
gut.«
    Er lehnte sich im Stuhl zurück, zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch nach oben.
    »Okay, ich denke darüber nach. Gib mir die Nummer von Voigler.« Es kam dem ›Ö‹ schon ziemlich nahe, wie er das aussprach.
    Das war der Zeitpunkt für das Merchandising.
Alle
Radioleute lieben das. Ich zog zwei Basecaps, ein T-Shirt, ein Sweatshirt, einen Stapel der wunderhübschen länglichen Autoaufkleber
     und noch ein paar andere Gimmicks aus der Reisetasche. Und eine Visitenkarte. Lindseys Name stand darauf. Goldgeprägt auf
     einer supercoolen Klappkarte, deren Vorderseite der Kontur einer E-Gitarre entsprach.
    |130| »Da steht die Nummer drauf.«
    Er starrte auf seinen Namen.
    »Director, Music and Programming«, las er leise. Wir hatten alle Titel in englisch auf die Karten gedruckt. Lindsey mußte
     ja nicht wissen, daß es von dieser erst eine einzige gab.
    »Cool, oder?«
    Er nickte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, bekam etwas Melancholisches.
    »Weißt du, ich war noch nie Mitglied eines Teams. Ich habe immer nur beraten, gecoacht, programmiert. Während der Collegezeit
     habe ich es mal als Discjockey versucht, aber das ging in die Hose. Ich dachte, es wäre
locker
, ungebunden zu sein. Überall Spuren zu hinterlassen.« Er pausierte kurz. »Berlin ist wirklich okay, sagst du?«
    Ich nickte. »Nicht unbedingt schön, aber okay. Laut, aber nicht so laut wie NYC, ein bißchen schmutzig, umtriebig, ziemlich
     grün teilweise, nicht sehr spektakulär insgesamt. Man kann eine Menge Spaß haben. Eine ganze Menge.«
    »Hübsche Frauen?«
    »Ja.«
    Die wunderbarste von allen, die stammte nicht aus Berlin, fiel mir in diesem Moment ein. Und sie lebte schon lange nicht mehr
     in der Stadt.
     
    Er nickte langsam. »Es wird etwa fünfzehntausend Dollar kosten, mich auszukaufen.« Er streckte mir seine Hand entgegen. »Ich
     brauche drei Tage. Montag bin ich da. Sorg dafür, daß mich jemand abholt.«
    Ich schüttelte seine Hand, lachend vor Erleichterung. Ich war sicher, daß

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