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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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war, talentierte Discjockeys zu finden. Alexander,
     unser Cheftechniker, benahm sich wie eine alternde Diva, wenn es um
seine
Gerätschaften ging, und rief eine Kohle auf, von der manch ein amerikanischer Spielfilmregisseur träumte. Jetzt hatten wir
     einen zweiten Techniker, einen, der sogar produzieren konnte. Richtig gut, wie ich hoffte.
    Den Rest der Tage verbrachten wir mit Training, Schreibkram, Technikinstallationen, Vorproduktionen und endlosen Telefonaten
     mit Plattenfirmen, Sponsoren, Leuten von der Post und so (schließlich hatten wir keinen Sendemast auf dem Dach, sondern, wie
     fast alle, eine nette preiswerte Standleitung zum nächsten Postamt, von wo aus das Signal zum Sendemast im Grunewald transportiert
     wurde). Vögler akquirierte Werbekunden, führte Gruppen durch die Studios; er war immer in der Station, egal, wann man kam.
     Er telefonierte zweihändig, während auf dem Schreibtisch vor ihm ein Berg aus Papieren und allem möglichen Krempel wuchs,
     der sich über die Ränder in Richtung Boden neigte, aber erstaunlicherweise nicht auseinanderfiel.
    Es war unglaublich, Lindsey bei der Arbeit zu sehen. Er hörte sich
alle
Platten an, die reinkamen – und das waren viele –, jeden einzelnen Song, wenigstens die Intros von den erkennbar ganz schlechten.
     Er hatte ein lustiges kleines Computerprogramm aus den Staaten mitgebracht, das eine schwer genervte Zeitarbeitstypistin mit
     den Daten unseres Archivs fütterte, und er kategorisierte jeden Titel nach einem seltsamen System, das ich erst viel später
     begriff. Zehntausende Titel, aufgeteilt nach verschiedenen, geheimnisvollen Kriterien, und das Ergebnis waren
Clocksheets
für die einzelnen Sendungen, die
Playlists
für die Moderatoren, und natürlich die vorgefertigten Lizenzlisten. Damit nicht genug: |137| Lindsey korrigierte, setzte ein, tauschte aus, fummelte an dem Programm herum,
baute
unsere Musikfarbe. Ab und zu kam er zu mir, hielt mir eine deutschsprachige Platte entgegen, auf deren Cover er mit kleinen
     bunten Aufklebern Titel markiert hatte, und sagte: »Mach ein Kreuz auf dem Aufkleber, wenn die Songs
cool
sind. Aber nimm einen Filzstift.«
Take a fucking edding. Fucking
war sein allgemeingültiges Lieblingsadjektiv.
    Lindsey ging ganz anders mit Platten um, als die Discjockeys und Musikredakteure das taten. Die Studioplattenspieler arbeiteten
     mit Auflagegewichten, die weit über dem lagen, was bei den fragilen High-End-Plattenspielern üblich war, was dazu führte,
     daß eine Platte nach zehn-, zwanzigmaligem Abspielen schlicht für die Tonne war. Der schwere Arm fräste das Vinyl einfach
     weg, totaler Dynamikverlust, keine Höhen oder Bässe mehr. Lindsey behandelte die Platten trotzdem mit großer Hochachtung und
     Vorsicht – und er hatte angedroht, jeden Discjockey zu
kastrieren
, der einen Titel nicht spielen könnte, weil er die Platte ruiniert hatte. Lindseys Coaching-Stunden und Briefings waren Highlights
     der täglichen Arbeit: Wir wußten alle nicht, ich eingeschlossen, wie der agile Collegeboy es meinte, wenn er seine zynisch-ernsten
     Anweisungen gab, aber es blieb uns oft genug das Lachen im Halse stecken, wenn er uns todernst ansah und sagte: »Vergeßt nicht:
     Es ist
unsere
Show. Sie wird so gut oder schlecht wie das, was jeder einzelne von euch bringt. Baut Scheiße, und ich stecke eure Köpfe hinein.«
     Wenn wir uns danach auf eine Zigarette in der Teeküche trafen, sagte er oft: »Fuck, ich muß unbedingt
fucking German
lernen.« Einmal zwinkerte er mich an und fragte: »Was zur Hölle heißt
blow-job
auf deutsch?« Wann immer er mir während der nächsten Tage begegnete, hörte ich, wie er versuchte, ›einen blasen‹ so zu sagen,
     daß es auch zu verstehen war.
     
    Zwei Tage vor Sendestart fuhr ich eine Probesendung, spielte mit den Geräten, machte ein paar Sprachaufnahmen für |138| Spots und Trailer. Das meiste davon war pure Beschäftigungstherapie, denn ich wäre durchgedreht, hätte ich nicht alle ein,
     zwei Stunden im Studio hocken können. Ich konnte es nicht erwarten, wirklich zu senden, und keinem in der Station ging es
     anders.
    »Du hast eine sehr coole Stimme,
Donny «
, kam irgendwann über meine Kopfhörer. Veronika saß im Sprecherraum, ich erschrak: Sie sah schlimm aus, völlig verbraucht,
nuttig
, saß neben Lindsey, der sie seltsam anstarrte.
    »Donny«, wiederholte Lindsey. »Donny Radioman.
Don FM
.« Er nickte.
» Don FM
, das ist es. »Donald
Don FM
Kunnße. Das paßt.«

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