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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Selbst Cunningham, der nur fünf Worte deutsch konnte (Bier, Nutte, Voigler wie ficken), kringelte sich, aber er archivierte
     die Gehversuche junger Radiogötter akribisch. Spots, Trailer und Jingles wollte er damit produzieren. Einmal rannte er tränenüberströmt
     aus dem Studio. Ein Physikstudent hatte die Top 10 der aktuellen amerikanischen Charts vorgetragen – in einem Englisch, das
     selbst einem afrikanischen Buschmann die Feuchte in die |134| Augen getrieben hätte. Bei seiner Version von
Huey Lewis & The News
war ich dem Zusammenbruch nahe.
    »Manfred Hagelmacher, einhunderteinskommaeins Pöhwarock Berlin«, endete er, schob den Kopfhörer in den Nacken und sah erwartungsvoll
     zu mir herüber. Lindsey kam wieder rein. »Spiel es ihm vor!«
    Wir bepißten uns abermals. Hagelmacher, ein dürrer, fragil wirkender Bursche, der zu allem Überfluß auch noch ganz leicht
     sächselte, nickte langsam, offensichtlich hochzufrieden, während er gebannt lauschte und dabei die Monitorboxen anstarrte.
     Er sagte etwas, doch das Mikro war nicht mehr offen.
    Viele Menschen kennen das, wenn sie erstmals ihre Stimme von Band hören: Erstens kommt sie einem völlig unwirklich vor, viele
     haben Schwierigkeiten, sich selbst überhaupt zu erkennen. Und zweitens klingt es in den eigenen Ohren immer
irgendwie
gut, hat man erst mal verinnerlicht, daß es die eigene Stimme ist. Die Stimme gehört zum Ich, und die Erkenntnis, keine wirklich
     schöne Stimme zu haben, ist nicht leicht zu verarbeiten. Eigentlich überhaupt nicht.
    Ich zog den Fader für die interne Kommunikation hoch, Hagelmacher konnte jetzt Lindseys Gelächter über die Monitore hören.
    »Sorry, das war nichts«, erklärte ich. Diese ›Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an‹-Nummer hatte ich noch nie abgekonnt,
     und ich hielt es für unfair, jemanden in dem Glauben zu lassen,
irgendwas
zu können, sei es schreiben, singen, tanzen oder im Radio sprechen, obwohl die Aussichten objektiv genau null waren. Vielen
     Möchtegern-Schlagerstars, Möchtegern-Schriftstellern und dergleichen wäre viel erspart geblieben, hätte irgendein Produzent,
     irgendein Lektor mal die Traute gehabt, zu sagen: »Suchen Sie sich ein anderes Hobby,
bitte! «
    »Ich habe Demobänder von mir, die sind vielleicht besser«, bot Hagelmacher an, erste Zweifel an der Mimik erkennbar. »Ich
     habe einmal beim Studentenradio Böblingen |135| eine Sendung moderiert. Die war ein großer Erfolg.« Er zog eine Cassette aus der Jackentasche. Die harte Tour. Es reizte mich,
     seine Sendung zu hören. Wie gemein.
    »Manfred, es ist aussichtslos. Du wirst im Leben kein Radiosprecher. Dein Englisch ist miserabel, deine Stimme klingt nicht,
     deine Modulation ist unter aller Sau, hoffnungslos – du sprichst wie eine elektronische Telefonansage.«
    Er starrte mich an, durch die dicke Glasscheibe, ungläubig. Dann sackte er in sich zusammen.
    »Hey«, versuchte ich schwach.
    Er richtete sich wieder auf, jedenfalls ansatzweise.
    »Ich möchte so gerne Radio machen.« Kurze Pause.
» Bitte .«
    Ich seufzte.
    »Okay, links von dir ist der Recorder. Hören wir uns mal an, was du mitgebracht hast.«
    Ich bereitete mich innerlich auf weitere Schreikrämpfe vor. Lindsey sah mich ungläubig an.
    Und es war eigentlich auch zum Schreien, oder zum Weinen. Hagelmachers Stimme war für den Arsch, richtiggehend
widerlich
, ich malte mir aus, eine Frau zu sein, der dieser Typ mit
dieser
Stimme eine Liebeserklärung macht. Aber die Sendung war trotzdem interessant: Er hatte, offensichtlich mit einfachsten Mitteln,
     ein paar Jingles produziert, einen Trailer für eine Veranstaltung auf dem Campus, und die Beiträge waren zwar grauenhaft anzuhören
     – wegen der Stimme -, dafür erstklassig geschnitten.
    »Der Junge hat Talent, wenn er das alles selber produziert hat«, sagte Lindsey. Ich nickte.
    »Hast du das selbst gemacht?«
    »Ja. Zu Hause. Ich habe ein kleines Mischpult, einen Plattenspieler und zwei Cassettenrecorder.«
    Das erinnerte mich an irgend etwas. Ich mußte lächeln.
    »Hast du Ahnung von Technik? Kannst du mit einem Bandgerät umgehen? Mit einer Jinglemaschine?«
    Er nickte. »Wenn Sie mir ein paar Tage Zeit geben.«
    |136| »Okay. Wir probieren es.«
    Hagelmacher starrte mich ungläubig an, sprang dann auf, wurde aber wieder in den Sessel gerissen, weil er vergessen hatte,
     daß ihm der Kopfhörer um den Hals hing.
    Es war genauso problematisch, gute Techniker zu bekommen, wie es schwierig

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