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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Dann drehte er sich zu Veronika. »Bist du eine Nutte?« fragte er auf deutsch, es klang naiv, aber das war
     es nicht. Collegeboy-Arschloch. Veronika nickte, traurig. Lindsey verpißte sich.
     
    Für den Sendestart hatten wir zehn Minuten vorproduziert. Am Anfang gab es ein Feuerwerk an Jingles, erstklassiges Material,
     von
JAM Productions
hergestellt, der besten Bude weltweit für so was, die Jingles
fetzten
, wie Hagelmacher leicht sächselnd erklärte. Ich bekam eine irre Gänsehaut, im linken Selbstfahrer sitzend, fast die gesamte
     restliche Crew im Sprecherraum nebenan, einschließlich Suszanna, der ungarischstämmigen Dame, die unser Mädchen für alles
     war und innerhalb kürzester Zeit Dinge besorgen konnte, von denen wir nicht einmal wußten, daß man sie in Berlin kaufen konnte.
    Dann gab es eine viersekündige Pause, hochdramatisch. Anschließend
We built this city
von
Starship
, fast schon ein bißchen zu alt, aber sehr treffend:
We built this city on rock and roll
– das würden wir alle sehr bald gerne sagen können. Und ich wußte, daß es so kommen würde. Dann meine eigene Stimme, im zweiten
     Drittel des Songs.
    »Guten Morgen,
Berlin .«
Es war sieben Uhr morgens, erster Oktober neunzehnhundertneunzig, zwei Tage vor der formellen Wiedervereinigung Deutschlands.
     »Mein Name ist |139| Donald
Don FM
Kunze, und dies hier ist
101.1 PowerRock Berlin
.« Die Stationskennung hatten wir alle zusammen geschrien, Grenzflächenmikros im Sprecherraum offen, es hörte sich geil an.
     »Ab heute wird nichts anderes mehr gehört. Die Warterei hat ein Ende.
Wir blasen euch die Schädel weg
. Dies hier ist
PowerRock Berlin
. Jetzt wird
Radio
.« Der letzte Satz klang etwas seltsam, aber so, wie ich es sagte, wurde deutlich, was gemeint war, dachte ich. Dann röhrte
     der erste Titel los, ich kannte die Band nicht, harter, aber melodischer Rock vom Feinsten, brandneu, noch von keiner deutschen
     Station gespielt, wie Lindsey erklärte, importiert, wie sehr viele Platten, was Vögler fast zum Wahnsinn trieb.
Daraus machen wir einen Hit, die Band ist es wert
. Anschließend gab es eine kurze, prägnante Ansage von Vögler, ein etwas nöliges Grußwort des Bürgermeisters (wir hatten es
     nicht schneiden dürfen, legten aber einen netten Beat darunter), und dann ging die Post ab. Mike
das Mikro
löste mich ab, der junge und tatsächlich talentierte Mensch, den ich in einer pofigen Disco aufgetrieben hatte und der unser
Morning-Anchor
werden sollte; dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Im Sprecherraum brach Jubel aus.
    Dann begann umgehend unser Tagewerk, unser 24-Stunden-Tagewerk, sieben Tage die Woche, zwölf Monate im Jahr. Lindsey würde
     die ersten Stunden im Sprecherraum bleiben, ich ging in mein Büro, um von dort aus mitzuhören – an Arbeit war nicht zu denken,
     ich war viel zu aufgeregt, hatte Angst, daß irgendwas schiefgehen könnte. Die Station
summte
. An meinem Apparat konnte ich erkennen, daß die Telefonleitungen schon zu glühen anfingen, es blinkte wie wild. Ich lehnte
     mich zurück, lauschte der wirklich erstklassigen Musikauswahl
meines Senders
, rauchte eine, nahm einen Schluck Kaffee. Und dann kam es. Grenzenloses Glücksgefühl. Wir hatten es geschafft. Doch noch
     ein paar fähige Köpfe,
Stimmen
gefunden, zwei häßliche, aber extrem engagierte Publizistikstudentinnen, die als Reporter und Redakteure arbeiten würden,
     und und und. Hagelmacher |140| baute Spots, daß es eine Freude war: Nach zwei Tagen beherrschte er die Technik, als hätte er nie etwas anderes getan. Er
brannte
förmlich vor Begeisterung, was sich nicht zuletzt an riesengroßen roten Flecken in seinem Gesicht zeigte, schlief im Produktionsstudio
     und verließ die Station nur, wenn ihn mindestens fünf Leute geschlossen dazu aufforderten, und unter Androhung von Gewalt.
     Sein Studium hatte er natürlich abgebrochen. »Wer einen Traum erfüllt bekommt, muß nie mehr schlafen gehen«, sagte er zu mir,
     zwei Tage vor Sendestart.
    Vögler kam in mein Büro, zwei Gläser mit goldfarbener Flüssigkeit in der einen Hand balancierend, zwei fette Zigarren in der
     anderen.
    »Das hört sich wirklich
gut
an«, sagte er grinsend, was etwas seltsam aussah, da der Rest des Gesichtes nicht mitgrinste. Freute er sich wirklich? Oder
     verlief es für ihn nur
erwartungsgemäß
? Ich konnte nur nicken, nahm meinen Jack Daniel’s und stieß mit ihm an.
    »Auf die Nummer eins«, sagte er vieldeutig.
    »Auf die Nummer

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