Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
unterbrochen. Ein Legionsführer der vierten Generation hat wütend die Hände auf den Tisch geschlagen und funkelt mich verärgert an.
„ Es reicht! Kaum ist sie hier, gibt es auch schon Probleme!“, klagt er vorwurfsvoll.
„ Sie ist interessiert, mehr nicht“, ergreift A350 sofort Partei für mich.
„ Sie steckt ihre Nase in Dinge, die sie nichts angehen“, entgegnet der Mann unnachgiebig.
„ Sie muss verstehen, was passiert, um uns vertrauen zu können“, verteidigt mich A350 weiter. Auch wenn mich ihr Einsatz rührt und ich sie dafür direkt etwas mehr in mein Herz schließe, stört es mich, dass sie reden, als ob ich nicht da wäre.
„ Wir sollten nicht erst ihr Vertrauen gewinnen müssen, sondern sie sollte uns überhaupt nicht erst in Frage stellen. Wir sind die Legionsführer, was wir sagen, ist Gesetz.“
Das reicht. Ich stehe auf. „Meine korrekte Bezeichnung lautet A518 und wie ist ihre?“, fahre ich den Mann gegenüber an, womit ich ihn völlig aus der Bahn werfe. Offensichtlich hielt er mich für stumm oder zu ängstlich, um es zu wagen, die Stimme zu erheben.
„ Meine Bezeichnung ist A489. Wer hat dir die Erlaubnis zum Sprechen erteilt?“
„ Ich brauche keine Erlaubnis. Ich bin eine Legionsführerin“, entgegne ich mit erhobenem Kopf.
A489 lacht mich dafür nur höhnisch aus. „Ach sieh an, und was glaubst du, warum du hier bist?“
„ Ich bin hier, um für den Schutz der Menschen in der Sicherheitszone zu sorgen.“
„ Ganz genau, und dazu gehört nicht, alles in Frage zu stellen, was wir erreicht haben. Ohne die Legion gäbe es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einmal mehr einen Menschen auf der Erde. Es gibt keinen Grund, uns zu kritisieren.“
Offensichtlich fühlt er sich angegriffen. Ob das an einem schlechten Gewissen oder einem zu großen Selbstbewusstsein liegt, weiß ich nicht einzuschätzen. „Ich kritisiere niemanden, ich bin nur ehrlich. Was spräche zum Beispiel dagegen, die Menschen in der Sicherheitszone mit derselben Nahrung zu versorgen?“
Entsetzt reißen einige der Anwesenden die Augen auf, während andere über meine Worte nachzudenken scheinen.
„ Wir könnten einen Speisesaal einrichten, in dem alle ihre Nahrung gemeinsam zu sich nehmen. Die jetzige Nahrungsvergabe könnte lernen zu kochen.“
A489 schüttelt nur den Kopf. „Du würdest die Menschen damit total überfordern. Sie bekämen Angst. Sie fürchten Veränderungen.“
„ Sie fürchten sie nur, weil sie sie nicht kennen. Aber wie ihr heute selbst gesagt habt, ist es Zeit für Veränderungen. Ihr könnt die Menschen dort unten nicht ewig gefangen halten.“ Ich versuche, nicht vorwurfsvoll zu klingen, sondern meine Meinung so sachlich und ehrlich wie möglich zu vertreten, doch viele fassen das nicht so auf.
„ So siehst du die Sicherheitszone also? Als ein Gefängnis? Wer sagt uns also, dass du nicht, sobald du die Möglichkeit dazu bekommst, alles zerstören wirst, was wir viele Jahrzehnte aufgebaut haben?“
Schnell schüttele ich den Kopf und versuche, mich zu erklären. „Die Legion hat Großes geleistet. Ich würde niemals versuchen, das zu zerstören. Aber ich möchte das Leben für die Menschen in der Sicherheitszone verbessern. Nicht von heute auf morgen, aber in kleinen Schritten. Die Einführung von normalem Essen wäre ein Anfang.“
Es folgt keine Antwort, stattdessen betretenes Schweigen. A350 räuspert sich neben mir. „Ich denke, wir sollten A518s Vorschlag im Hinterkopf behalten und bei der nächsten Konferenz darüber diskutieren. Sind alle damit einverstanden?“
Niemand erwidert etwas. Die Stimmung ist genauso kalt und gefühllos wie vor der Diskussion. Jedoch liegt der Ärger noch in der Luft wie eine drohende Gewitterwolke.
„ Du solltest dich jetzt schlafen legen. Es war ein aufregender Tag. Wir sehen uns morgen“, entgegnet mir A350 und fordert mich damit indirekt auf, zu gehen. Ich gehorche ihr und verlasse das Zimmer. Ob ich jemals erfahren werde, was sie dazu bewogen hat, mir zu helfen?
Als ich am nächsten Morgen den Konferenzsaal betrete, finde ich ihn verlassen vor. Lediglich ein Platz ist noch gedeckt. Offensichtlich haben die anderen schon gegessen. Auf dem Teller befindet sich eine Art Brötchen, dazu gibt es ein Glas Saft. Beides ist vollkommen geruchlos. Eigentlich habe ich keinen großen Hunger, trotzdem zwinge ich mich dazu, zu essen.
Während ich an dem großen Tisch alleine sitze, lasse ich meinen Blick durch die Fensterwand
Weitere Kostenlose Bücher