Radioactive -Die Verstossenen
auf.
„Ich habe leider kein Geschenk für dich, aber dafür einen neuen Freund, wenn du magst.“
Alles andere scheint vergessen, als Iris mir fast schüchtern entgegen tritt. Genau wie bei mir am Vortag ist es für sie heute das erste Mal, dass sie einen lebendigen Wüstenfuchs sieht , und dazu noch ein Jungtier.
Vorsichtig streckt Iris ihre Hand aus. Der Wüstenfuchs schnuppert an ihren vom Kuchen verklebten Fingern, bevor seine kleine Zunge beginnt , den Zuckerguss abzuschlecken. Iris fängt augenblicklich zu kichern an.
„Er mag mich“, stößt sie vergnügt aus, wobei ich ihr das kleine Tier behutsam in die Arme drücke. Während der Wüstenfuchs bisher noch zurückhaltend und vorsichtig war, scheint er in Iris Gegenwart aufzutauen. Vielleicht merkt er, dass sie noch genauso jung und unerfahren ist wie er selbst.
Sofort beginnen Iris und Emily darüber zu beratschlagen , wie sie den kleinen Kerl denn nun nennen sollen. Letztendlich fällt die Wahl auf Dumbo, wegen seiner großen Ohren. Da weder Iris noch ich die Geschichte von Dumbo, dem kleinen Elefanten, kennen, erzählt sie Marie uns, während wir zusammen frühstücken. Neben dem Kuchen gibt es noch süßes Brot mit getrockneten Früchten.
Gegen Abend helfe ich Paul beim Feuermachen, erstaunlicherweise stelle ich mich dabei wesentlich geschickter an als beim Backen. Auch wenn ich mir mit dem Ruß nicht nur die Hände und Arme, sondern auch aus Versehen das Gesicht verschmiere. Als das Feuer hoch genug brennt, gesellen sich nach und nach die Bewohner zu uns. Neben Fisch und Brot rösten wir auch Kartoffeln.
Das Gefühl , zwischen den anderen um das Feuer zu sitzen, ist für mich überwältigend. Es ist eine Situation, wie es sie in der Sicherheitszone nie geben würde. Ich fühle mich geborgen und zu Hause , obwohl die Höhlen nie mein Zuhause waren und es auch niemals sein werden. Meine Zeit hier ist begrenzt und trotzdem fühlt es sich an , als würde ich dazu gehören. Als wäre ich ein Teil etwas Großen. Egal ob nun Florance, Paul oder Grace, ich kenne jeden von ihnen mittlerweile besser als alle Bewohner der Sicherheitszone. Selbst über C515, den ich kenne, seitdem ich denken kann, weiß ich kaum etwas. Ich weiß lediglich , warum ihm eine Ecke seines Schneidezahns fehlt , und das auch nur, weil ich dabei war, als es passierte. Wäre ich nicht dabei gewesen, hätten wir wohl nie darüber gesprochen. In der Sicherheitszone ist es nicht üblich , über Gefühle oder Gedanken zu reden. Dort hat niemand ein Lieblingsessen, eine Lieblingsfarbe oder ein Lieblingslied. Dort gibt es nicht einmal Musik. Ich beginne zu verstehen , warum die Menschen dort auf Finn und die anderen wie Roboter wirken. Sie sind farblos und ohne Identität, weil jeder dem anderen gleicht. Allein der Gedanke macht mich traurig, denn ich weiß, dass es nicht stimmt. Ich bin sicher , C515 oder auch jeder andere Bewohner der Sicherheitszone könnte eine Persönlichkeit entwickeln, wenn man ihm nur die Chance dazu geben würde. Sie sind weder besser noch schlechter als die Rebellen. C515 würde sich sogar bestimmt blendend mit Paul verstehen. Manchmal erinnert er mich an ihn. Es ist weder das Aussehen noch die Statur, sondern die Art , wie sie mit den Menschen in ihrer Nähe umgehen, stets rücksichtsvoll und ehrlich.
„Das hast du gut gemacht“, raunt es plötzlich in mein Ohr, sodass ich vor Schreck zusammenzucke. Finn lässt sich auf dem Baumstamm neben mir nieder und zieht sich einen Fisch aus dem Feuer.
Wie unter Hypnose starre ich ihn an. Wo kommt er auf einmal her und warum setzt er sich neben mich , als wäre es das Normalste der Welt? Er war es doch, der mir immer wieder gesagt hat, dass wir nie Freunde werden.
So sehr ich mich auch nach seiner Aufmerksamkeit in den letzten Stunden gesehnt habe, macht sie mir nun Angst. Er ist so unbeständig. Nichts ist bei ihm sicher. In dem einen Moment schreit er mich an und schimpft mich in Grund und Boden und im nächsten Moment tut er so , als wäre nichts gewesen.
Sein warmer Arm streift meine Haut , als er in den Fisch beißt. Eine Gänsehaut lässt mich erschauern.
„Wo warst du?“, stoße ich hervor und rechne damit, dass er mir erklären wird, dass mich das nichts angeht. Stattdessen beginnt er zu grinsen, ein ungewohnter Anblick bei Finn. Jedenfalls für mich.
„Hast du mich etwa schon vermisst?“
Seine plötzlich so lockere und unbefangene Art macht mich wütend. Ich weiß nicht , wie ich damit umgehen soll
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