Raecher des Herzens
nicht aus diesem Grund fröstelte.
Endlich tauchten vor ihnen aus dem Nebel die Eichen auf. Der Kutscher ließ die Pferde auf einer Wiese in Sichtweite der beiden riesigen alten Bäume halten, die man die Zwillingsschwestern nannte. Dort würde auch dieses Duell stattfinden.
Offenbar waren sie ein wenig zu früh gekommen. Nur eine andere Kutsche stand noch da, und die Insassen hatten es nicht eilig auszusteigen. Celina nahm an, dass es sich um Rios Kontrahenten und dessen Begleiter handelte. Verstohlen schielte sie hinter dem ledernen Tuch hervor, das man zum Schutz gegen die Kälte über die Fensteröffnung ziehen konnte. Je weniger Aufmerksamkeit sie erregte, desto besser.
Suzette saß in eine Decke gehüllt auf der Bank gegenüber und starrte zu Boden. »Du bist heute Morgen sehr still«, sagte Celina nach ein paar Minuten. »Ist alles in Ordnung?«
Suzette schüttelte den Kopf.
»Los, heraus mit der Sprache. Was fehlt dir denn?«
»Nichts. Alles. Ich ... Ach nichts.«
»Ist es wegen Olivier?«
Suzette presste einen Augenblick lang die Lippen aufeinander. Dann platzte sie heraus: »Es ist wegen allem. Verstehst du das nicht? Schon bei dem Gedanken an Klingen und Degen wird mir übel. Ich kann fast spüren, wie sie mich durchbohren. Duelle sind Irrsinn, der reine Irrsinn.«
»Ja, ich weiß genau, was du meinst.«
»Außerdem: Was wird aus Olivier, wenn Monsieur de Silva getötet wird? Wo soll er arbeiten? Wer wird seine Fähigkeiten und seine Ehrlichkeit zu schätzen wissen? Es ist so wichtig für ihn, ein Heim und einen Verdienst zu haben! Oh, ich weiß, wie unpassend es ist, gerade jetzt an solche Dinge zu denken, aber wie sollte ich das nicht? Und was ist, wenn Monsieur de Silva siegt? Du heiratest trotzdem den Grafen und folgst ihm nach Spanien. Und was wird dann aus mir? Schließlich gehöre ich nicht dir, sondern deinem Papa.«
»Oh, Suzette.« Celina hatte ihrer Zofe noch nichts von dem Handel mit ihrem Vater erzählt. Sie wollte es erst tun, wenn sie genau wusste, dass nichts mehr dazwischenkam. Nicht dass Celina ihrem Vater nicht traute, sie machte sich eher Gedanken wegen des Grafen. Für Suzette war es sicher nicht gut, wenn der Spanier sie als seinen Besitz betrachtete. Ein Gatte durfte nämlich über die Mitgift seiner Frau nach Belieben bestimmen, Sklaven mit eingeschlossen. Nur wenn die Frau ein Geschenk aus ihrer Erbmasse erhielt, gehörte es allein ihr. Celina hoffte noch immer, dass ihr Vater vor der Hochzeit die notwendigen Papiere unterzeichnen würde.
Dann wäre Suzette ganz offiziell ein solches Geschenk, und sie konnte mit ihr tun, was sie wollte. All diese Gedanken gingen Celina durch den Kopf. War es angesichts von Suzettes Verzweiflung nicht grausam zu schweigen?
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte Celina schließlich. »Vater hat mir versprochen, dass du mir gehörst, sobald ich dem Grafen das Ja-Wort gebe. Dann kannst du tun und lassen, was du willst.«
Suzette saß stocksteif da. »Mam’zelle, du hast doch nicht etwa nur wegen mir ... du kannst doch nicht ... Nicht nur wegen mir, Mam’zelle.«
Celina schüttelte den Kopf und lächelte schwach. »Nein, nicht nur wegen dir. Aber ich dachte, es schadet nichts, wenn ich wenigstens einen Menschen damit glücklich machen kann.«
»Das ist zu ... Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Dann sag einfach nichts, denn noch ist es ja nicht so weit.«
»Aber allein der Gedanke! Olivier wird es gar nicht glauben wollen.«
Mit einer Geste forderte Celina ihre Zofe auf zu schweigen. Es konnte noch so viel geschehen, und wenn Olivier davon wusste, würde er es sicher sofort seinem Herrn erzählen. Rio hatte ihr schon einmal vorgeworfen, sie mache sich zur Märtyrerin, und nun sah es wieder danach aus. »Es ist besser, damit noch zu warten.«
»Oh, aber Olivier muss es erfahren! Schließlich geht es auch um seine Zukunft und um sein Glück.«
Konnte es ein größeres Glück geben als das zweier Liebender, die sich auf ein gemeinsames Leben freuen durften? »Wenn du es ihm unbedingt sagen willst...«, murmelte Celina. Dann starrte sie wieder aus dem Fenster.
Die Zofe fiel vor ihr auf die Knie und nahm ihre Hand. »Ich danke dir, Mam’zelle, von ganzem Herzen. Du bist so gut. Sicher wirst auch du eines Tages so glücklich sein wie ich jetzt gerade. Dafür bete ich.«
»Bitte.« Celina musste gegen den immer dicker werdenden Kloß in ihrem Hals ankämpfen. »Bitte tu das.«
Hufgetrappel und das Rattern von Rädern
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