Raecher des Herzens
war vorüber. Sie hatte mit den Pflichten, denen sich Celina nun stellen musste, und mit ihrer Zukunft nichts zu tun. Ihre Liebe würde ihnen nichts nutzen.
In der Kutsche musterte Celina ihre Zofe. Suzette starrte aus dem Fenster. Tränen rannen ihr über die Wangen. Einen Augenblick lang überlegte Celina, wie sich Suzette und Olivier wohl die Zeit vertrieben hatten, und ob auch sie Abschied genommen hatten. Vielleicht waren auch für sie diese Stunden am Nachmittag die letzten gemeinsamen gewesen. Es würde keine geheimen Nachrichten mehr geben, keine Verabredungen, für die man eine Botin oder einen Mittelsmann brauchte.
Zwar hatte Rio in jener Nacht in den Schatten der Laube davon gesprochen, dass Celinas Schuld diesmal nicht mit einem einzigen Treffen zu begleichen sein würde, aber das war nun nicht mehr von Bedeutung. War Celina erst einmal mit dem Grafen vermählt, so würde sie sich nur allzu bald auf einem Schiff wiederfinden, das gen Spanien oder zu irgendeinem anderen fernen Ort segelte, und alles würde vorbei sein. Sie würde den Treueschwur, den sie ihrem Gatten am Altar geben musste, halten, wie sie jedes Versprechen hielt, das sie einmal gegeben hatte. Sie würde ihr Wort trotz allem nicht brechen.
Der Kummer drohte Celina zu überwältigen. Als die salzigen Tränen ihr die Sicht nahmen, griff sie nach der Hand ihrer Zofe. So fuhren sie zum Stadthaus zurück.
Später, als die Nacht schon hereinbrach und das letzte Tageslicht die Flügel der Tauben, die sich über die Dächer schwangen, noch einmal lavendelfarben aufschimmern ließ, kam Denys endlich zu sich. Celina stand gerade am Fenster. Sie hatte den Vorhang beiseite geschoben und betrachtete das Farbenspiel am abendlichen Himmel. Plötzlich hörte sie die Kissen rascheln und dann ein heiseres Flüstern.
»Lina?«
Noch immer lauerten Tränen hinter Celinas Lidern. Sie blinzelte energisch dagegen an, bevor sie sich zum Bett umdrehte. »Endlich!«, sagte sie liebevoll. »Ich dachte schon, du wolltest dein ganzes Leben verschlafen.«
Denys streckte die Hand nach ihr aus, und Celina ergriff sie. Durch den Schleier ungeweinter Tränen hindurch lächelte sie ihn an. Seine Haut war fast so weiß wie der Verband, den er noch immer um den Kopf trug. Die wirren braunen Locken, die darunter hervorquollen, ließen ihn beinahe verwegen aussehen. Dabei blickten seine Augen so weich und liebevoll. Denys, ihr kleiner Bruder, wurde erwachsen, und alles ging viel zu schnell.
»Stupide«, sagte er. »Warum sollte ich das tun?« Er hielt inne und zog eine Grimasse. »Ich habe furchtbare Kopfschmerzen. Was ist eigentlich mit mir los? Was ist passiert?«
»Ich hoffte, diese Frage könntest du mir beantworten.«
»Ich kann mich an nichts erinnern. Aber warte ...
ich war in de Silvas Weinkeller. Es roch nach Rauch und ich hörte Geschrei. Ich glaube, jemand rief etwas von einem Feuer im Hotel. Aber ich konnte nichts tun. Ich legte mich auf die Pritsche, die man mir gebracht hatte, und wartete. Aber mehr weiß ich nicht.«
»Wirklich nicht?«
»Irgendwann spürte ich einen schrecklichen Schmerz an der Stirn, aber ich habe keine Ahnung, woher er kam. Jemand muss mir im Schlaf einen Schlag versetzt haben. Nur an mein Gespräch mit Rio de Silva erinnere ich mich noch gut. Danach rannte mir sein Diener auf der Straße hinterher und bat mich, noch einmal zurückzukommen. Er nahm mich mit in den Keller, und bevor ich recht wusste, wie mir geschah, war ich dort eingeschlossen.«
»Sicher auf Rios Anweisung hin. Aber was wollte er damit bezwecken? Ein solches Verhalten ist nicht zu entschuldigen.«
Denys lächelte schief. »Er wollte mich davon abhalten, zu Graf de Lerida zu gehen. Aber wenn ihm tatsächlich so viel daran lag, dass ich das nicht tue, hätte er es mir nur sagen müssen.«
»Es tut mir Leid, aber ich verstehe die Zusammenhänge nicht ganz.« Celina legte sich die Hand an die Kehle und starrte den Bruder durchdringend an.
»Ich ging zu Rio, weil ich etwas mit ihm besprechen wollte, was ich erfahren hatte. Er schien nicht sehr überrascht. So kam ich darauf, dass er alles bereits wusste. Wahrscheinlich spielt er irgendein Spiel, das ich noch immer nicht ganz durchschaue.« Denys imitierte Celinas Geste und legte sich ebenfalls die Hand
an die Kehle. »Kann ich etwas zu trinken haben? Mein Hals ist so trocken wie der Staub in einem Hahnenkampfring.«
Celina schenkte ihm aus einer Kristallkaraffe ein Glas Wasser ein. Wahrscheinlich war es nicht gut,
Weitere Kostenlose Bücher