Raecher des Herzens
trieb Pasquale mit dem Degen ein paar Schritte vor sich her und schloss mit einem Fleche, einem Sturzangriff, ab. Nur ein gewagter Sprung mit einer gleichzeitigen Drehung bewahrte den Italiener davor, aufgespießt zu werden. Rios Klinge zerschnitt ihm den Hemdsärmel und schlitzte ihm die Haut am linken Arm auf.
Die erste Runde ging damit an Rio.
Schon bevor die Sekundanten das Kommando zum Abbruch geben konnten, ließ er die Klinge sinken. Der Ruf der Helfer ging beinahe im Beifallssturm der Zuschauer unter. Rio hätte sich darüber freuen können, aber das Gejohle der Menge ließ ihn ungerührt. Sein Gegner verdiente nicht, dass man sich freute, ihn bluten zu sehen.
Rio trat zurück und wartete, bis klar war, welches Ausmaß die Verletzung des Italieners hatte. Offenbar handelte es sich nur um einen oberflächlichen Schnitt. Pasquale ließ sich die Wunde mit Alkohol abtupfen. Er verzichtete auf einen Verband oder ein Pflaster, damit seine Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt wurde.
Dann zog er sich das Hemd wieder an und ging zurück auf den Kampfplatz.
Pasquales Sekundant trat vor, verbeugte sich vor Rio und stellte die vorgeschriebene Frage. »Sir, sollen wir den Kampf beenden?«
Eigentlich erwartete das niemand. Die Wunde war nur ein Kratzer, der Kampf hatte kaum begonnen. Dennoch zögerte Rio. Die Wut, die ihn dazu treiben konnte, einen Mann zu töten, wollte sich nicht einstellen. Es gelang ihm nicht einmal, für den bezahlten Fechter des Grafen Verachtung zu empfinden. Der Kampf erschien ihm mehr als Demonstration des Könnens zweier Meister denn als eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod. Genau genommen fand Rio es schrecklich, dass einer von ihnen aus einem so nichtigen Grund sein Leben lassen konnte. Doch die Neugier gewann die Oberhand. Konnte er diesen Mann besiegen? War er dazu in der Lage?
»Wir fahren fort«, hörte er sich sagen.
Wieder salutierten die Gegner einander. Caid trat vor und rief: »En garde!«
Rio hob die Klinge.
Pasquale folgte seinem Beispiel nicht. Vielmehr trat er einen Schritt zurück und schleifte die Spitze des Degens dabei achtlos durchs Gras. Die Brauen über den dunklen Augen zu einer finsteren Linie zusammengezogen, starrte er auf Rios Schulter. »Sie sind verletzt, Freund, und die Wunde stammt nicht von meinem Degen.«
Rio begutachtete sein Hemd. Am linken Ärmel zeigte sich ein langer, roter Streifen. Auch hinten an der Schulter spürte er plötzlich eine seltsame Kühle, so als hätte das Blut aus der offenen Wunde inzwischen die Bandage durchdrungen.
Ein Raunen ging durch die Zuschauermenge. Rio hörte die erregte Stimme des Grafen. Offenbar war er mit der Wendung der Dinge alles andere als einverstanden.
»Es ist nichts Schlimmes«, sagte Rio. »Bitte achten Sie nicht weiter darauf.«
Sein Gegner musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Das ist völlig ausgeschlossen. Ich will nicht, dass man später behauptet, ich hätte ein Handicap meines Gegners ausgenutzt.«
»Das könnte man auch von mir sagen, wenn wir nun weitermachen.«
»Dieser Vergleich hinkt. Ich habe nur einen Kratzer davongetragen. Außerdem spürt man eine Verletzung, die man sich in der Hitze des Gefechtes zuzieht, kaum. Bei einer alten Wunde hingegen ...« Pasquale hob vielsagend die Schulter. »Für mich ist dieses Duell beendet. Ich entschuldige mich in aller Form für die Bemerkungen, die uns hierher geführt haben. Aber ich werde die Waffe nicht noch einmal gegen Sie erheben.«
Rio fiel es nicht leicht, auf den ehrenhaften Vorschlag seines Gegenübers einzugehen. Doch er musste sich seine Bewunderung für die Ehrlichkeit und Offenheit des Italieners eingestehen. Dieser erwies sich als wahrer Gentleman, indem er sich an die uralten Gesetze hielt, die verlangten, dass bei einem Duell stets nur die besten Eigenschaften eines Mannes zum Vorschein kamen. Großzügigkeit und Anstand durften nicht zum Opfer niederer Gefühle wie Rachsucht oder Blutdurst werden. Damit lieferte Pasquale Rio den Beweis, dass er ebenso wenig ein gedungener Mörder war wie er selbst.
»Warum?«, fragte Rio so leise, dass nur Pasquale ihn hören konnte. »Warum haben Sie dieses Duell dann überhaupt erzwungen?«
»Sie haben mir ein freundschaftliches Kräftemessen verweigert. Aber das war nur einer meiner Gründe.«
»Ich will nicht weiter in Sie dringen, aber ich frage mich natürlich, warum Sie einen Handel mit dem Teufel geschlossen haben.«
Die Sekundanten, die das Geschehen beobachteten, zogen
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