Raecher des Herzens
ein wenig verwirrt die Stirn kraus und begannen nun ihrerseits eine Besprechung. Dass einer der Kontrahenten aus Gründen des Anstands nicht weiterkämpfen wollte, war an sich nichts Ungewöhnliches. Aber dass er sich dafür rechtfertigen musste, hatte man noch nie erlebt. Die Zuschauer hielten mit ihrem Unmut über das frühe Ende des Kampfes nicht hinter dem Berg. Sie reckten die Hälse, um verstehen zu können, was auf dem Kampffeld gesprochen wurde, und ergingen sich in wilden Spekulationen über den Grund des Abbruchs.
»Möglicherweise wollte ich nicht untätig dabei Zusehen, wie ein Fechtmeister mit weniger festen Prinzipien aus reiner Geldgier meinen Platz einnimmt«, antwortete Pasquale leise.
»Dann wollten Sie mich also schützen?«
Pasquales kaffeebraune Augen blitzten amüsiert auf. »Sagen wir, ich wollte sicherstellen, dass es einen fairen Kampf geben würde.«
»Das ist sehr ehrenhaft, aber ich weiß noch immer nicht, wie Sie dazu kommen, sich derart für mich einzusetzen.«
»Ich gebe zu, das ist nicht leicht zu verstehen.« Pasquales Lächeln war von einer entwaffnenden Offenheit. »Es war mir auch zuwider, eine Dame in diese Angelegenheit hineinziehen zu müssen. Aber Sie sollten wissen, dass Ihr Feind auch der meine ist.«
Damit konnte nur der Graf gemeint sein. »Und deswegen kämpfen Sie für ihn?«, fragte Rio sarkastisch. »Das ist eine ungewöhnliche Art, Rache zu üben.«
»Ich wollte nur das vorzeitige Ableben eines Mannes verhindern, der mir zum Verbündeten werden könnte. Darin gleicht die Rache dem Fechten, mein Freund. Manchmal kann man den Sieg nur durch Hartnäckigkeit und strategische Winkelzüge erringen. Der Meinung sind Sie doch sicher auch.«
»Das muss bei jedem Kampf neu entschieden werden«, sagte Rio ausweichend. Forschend blickte er seinem Gegenüber ins Gesicht.
»Und wie liegen die Dinge in diesem Fall?«
»Ich akzeptiere Ihre Entschuldigung, und wir setzen unsere Diskussion an einem anderen Ort fort.«
»Wohl eher nicht, mein Freund.«
Diese Abfuhr kam einer Beleidigung gefährlich nahe. Rio schwankte zwischen Misstrauen und Ärger. Doch er sagte: »Ich nehme an, Sie sagen das nicht ohne Grund.«
»Dessen dürfen Sie gewiss sein.« Pasquales dunkle Augen blickten ein wenig spöttisch. Dann drehte er sich um, trat aus dem Kampffeld, stellte sich breitbeinig
vor die Menge und hob die Arme. Den Degen hatte er noch immer in der Hand. »Messieurs!«, rief er. »Ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.«
Erwartungsvoll wandte sich die Versammlung dem hoch gewachsenen Italiener zu. Bald war es so still, dass man das ferne Krächzen einer Krähe vernehmen konnte. Der Graf hatte sich an den Rand der Gruppe zurückgezogen. Er machte kein sehr glückliches Gesicht.
»Ich bin Nicholas Pasquale, auch La Roche genannt, und kam erst vor kurzem aus Kuba an diesen schönen Ort. Vorher lebte ich in Spanien, Frankreich und natürlich in meinem geliebten Italien. Ich reiste nicht zum Vergnügen durch die Welt, vielmehr trieb der Wunsch nach Rache mich voran. Wie ich schon sagte: Ich bin ein Italiener! Geboren als Sohn einer Frau aus bestem Hause und eines adeligen englischen Abenteurers, der sie verführte, aber leider schon verheiratet war. Ich bin ein Bastard. Aber Sie müssen wissen, dass ich einen jüngeren Bruder hatte, der anders als ich ehelich zur Welt kam. Er war ein sensibler junger Mann, ein Poet, der die Worte und die Damen gleichermaßen liebte. Er lebt nicht mehr. Mein Bruder starb durch seine eigene Hand, weil er Schande über die Familie gebracht hatte. Schuld daran ist ein Mann, der vorgab, von edlem Geblüt zu sein, und doch nichts anderes ist als die Schlechtigkeit in Person. Er benutzte meinen Bruder, um sich Zugang zu den höchsten Kreisen Roms zu verschaffen. Manch einen brachte er um sein ganzes Vermögen, nur um danach feige die Flucht zu ergreifen. Mein Bruder war es, an dem sich der ganze Ärger der Geschädigten entlud. Mit derselben List erschlich sich der bewusste Übeltäter das Vertrauen der reichsten und mächtigsten Bürger von Paris und Havanna. Erprobt hatte er das infame Spiel in Barcelona, von wo er stammt. Dann segelte der Unhold gen New Orleans. Ich folgte ihm, genau wie ich ihm durch halb Europa und in die Karibik gefolgt war. Denn - wie ich bereits sagte - ich bin Italiener, und die Familie ist mir heilig. Wer den meinen Schaden zufügt, muss meine Rache fürchten.«
»Und wer ist dieser Mann?«, rief einer der Zuschauer. »Wir
Weitere Kostenlose Bücher