Raecher des Herzens
sein Gegenüber ein Linkshänder war, empfand Rio als Nachteil für sich. Denn dieser Umstand zwang ihn in eine Haltung, in der sein rechter Arm ihm nur einen ungenügenden Schutz bot. Seine Paraden mussten schwungvoller und mit mehr Kraftaufwand als sonst geführt werden, damit er dem Gegner keine Möglichkeit bot, ihn zu treffen. Noch dazu kreiste die Klinge des Italieners gegen den Uhrzeigersinn und nicht mit ihm, wie es üblich war. Rio musste seine eigenen Bewegungen diesen Gegebenheiten notgedrungen anpassen. Pasquale war nicht der erste Linkshänder, gegen den er antrat. Auch hatte er diesen Kampfstil gelegentlich schon selbst erprobt. Dennoch war es sehr mühsam, gegen einen Linkshänder zu kämpfen, und verlangte noch mehr Wachsamkeit als üblich.
Ort und Zeit spielten nun keine Rolle mehr. Für Rio existierte nur noch der Mann, der ihm mit der tödlichen Klinge gegenüberstand. Der melodische Klang des Metalls gab den Rhythmus vor, in dem sie sich über den Grasstreifen bewegten. Rio kämpfte mit der Disziplin, die von tausenden Übungsstunden herrührte, in denen auch seine Reflexe und sein Instinkt geschult worden waren. Sein Geist suchte den Einklang mit seinem Körper.
Abgesehen von der Intelligenz konnte der Mut zweier ansonsten ebenbürtiger Kontrahenten den Ausschlag für den Ausgang eines Kampfes geben. Es kam darauf an, wer von beiden den anderen mehr fürchtete und wie er mit dieser Angst umging. Rio vermochte an Pasquale keine Anzeichen von Furcht zu entdecken. Aber lauerte sie vielleicht in seinem eigenen Herzen? Erleichtert stellte er fest, dass dieses lähmende Gefühl ihn nicht beschlichen hatte. Nur Vorsicht wollte er walten lassen. Immerhin war er sich über die Absichten seines Gegenübers noch immer im Unklaren. Gleichzeitig wusste Rio, dass der Italiener wohl die größte Bedrohung darstellte, der er seit seiner Ankunft in New Orleans gegenübergestanden hatte. Nur in Caid hatte er bislang einen ähnlich starken Gegner gefunden. Aber diese Kämpfe waren mit stumpfen Waffen und lediglich als sportliches Kräftemessen ausgetragen worden, nicht mit der Absicht, den Gegner zu verletzen oder gar zu töten.
Auch der Italiener mochte nicht unbedingt boshaft sein. Doch er kreuzte sicher nicht nur aus sportlichem Ehrgeiz mit Rio die Klingen. Natürlich wollte Pasquale gewinnen.
Die aufgehende Sonne warf gleißende Strahlen durch die Äste der Bäume. Sie zeichneten Muster ins Gras, die das Auge verwirrten, und brannten wie Feuer auf Rios Rücken. Bald waren er und sein Gegner in Schweiß gebadet. Rio spürte, wie der Schweiß die Bandage durchdrang, und fühlte bald das Brennen in der offenen Wunde. Jede Bewegung erschütterte seine Schulter und machte alle zaghaften Heilungsprozesse zunichte, die in den letzten Stunden langsam eingesetzt hatten. Der Schmerz führte zwar nicht dazu, dass sich Rio zurückhielt, hatte aber doch einen Einfluss auf die Geschwindigkeit seiner Bewegungen.
Er war nicht in bester Verfassung, strebte vergeblich nach dem schwerelosen Zustand, in dem Geist und Körper ganz eins wurden, in dem der Kampf einem Tanz zu gleichen begann, und der Sieg gewiss war. Rio war sich dieses Handicaps bewusst und ging davon aus, dass auch Pasquale es verstand, seinen Gegner zu lesen. Zu ändern war an diesem bedauerlichen Zustand nichts. Rio konnte sich nur noch mehr Mühe geben als sonst. Sich angesichts der Verwundung keine Schwäche anmerken zu lassen, verlangte vielleicht mehr Courage als manche wirkliche Heldentat.
In einem Duell dauerte die erste Runde so lange, bis es zu einer Verletzung kam. So dehnte sich der Auftakt des Kampfes ewig hin, denn keiner der Gegner fand am anderen eine Schwäche, die er sich zunutze machen konnte. Vor und zurück bewegten sich die Männer über das Gras, während ihr Atem immer schneller ging und ihnen bald in der Kehle rasselte.
Pasquale verlor als Erster die Geduld. Er ließ sich zu einem stürmischen Ausfall hinreißen. Doch seine Klinge prallte so heftig auf Rios Degen, dass blaue und orangefarbene Funken stoben. Rio zog sich absichtlich ein wenig zurück. Er parierte den Angriff des Italieners mit einer Kraft und Eleganz, die ihn unter den gegebenen Umständen fast selbst überraschte. Doch schon erahnte Rio die gekalkte Linie hinter sich. Sie zu übertreten galt als feige. Er warf sich so schnell und geschmeidig herum, dass Pasquale Mühe hatte, ihn aufzuhalten. Der Blick des Italieners verengte sich.
Nun ging Rio in die Offensive. Er
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