Raecher des Herzens
einmal an den Kragen ging.
Rio richtete die dunklen Augen auf Celina. Dann senkten sich seine Lider. Mit einer schnellen Bewegung zog er den Degen zurück. Die Klinge blitzte in den Strahlen der Morgensonne auf, die durch das Fenster hereinfielen.
»Das war sehr klug«, sagte der Graf mit einem sarkastischen Lächeln. Er stemmte sich vom Bett hoch und rückte mit einer unwirschen Geste seine Kleidung zurecht. »So gefällt mir die Sache schon viel besser. Aber wie hast du uns so schnell gefunden?«
»Das war nicht schwer«, sagte Rio. »Du konntest kaum eine widerstrebende Frau mit ins St. Charles Hotel nehmen, wo du seit dem Feuer wohnst. Und auf die Schnelle einen anderen Ort zu finden, an den du sie bringen konntest, wäre nicht so einfach gewesen. Dieses Haus hingegen stand dir jederzeit zur Verfügung. Hier hast du dich in den letzten Wochen ausgiebig vergnügt. Ich brauchte also nur eins und eins zusammenzuzählen.«
Rio wirkte äußerlich völlig gelassen. Die Spitze des Degens zeigte zu Boden. Aber Celina vermutete, dass er sich ruhiger gab, als er in Wirklichkeit war. Sicher lauerte er nur auf den Moment, an dem die Wachsamkeit des Grafen nachließ.
»Du hast dich hereingeschlichen wie ein Dieb«, sagte der Graf und ließ ein böses Lachen hören. »Dabei faselst du doch die ganze Zeit von Ehre.«
Rio legte den Kopf schief. »Das musst du mir nachsehen. Es ist eine meiner typischen Eigenheiten. Außerdem war die Hintertür nicht abgeschlossen.«
»Ihre Zofe ist in die Küche gegangen. Was macht sie dort eigentlich so lange?« Graf de Lerida starrte Celina finster an.
»Sie kennt sich in der fremden Küche nicht aus«, antwortete Celina. »Vielleicht ist sie auch weggelaufen. An ihrer Stelle hätte ich auch Angst gehabt.«
»Oder Sie haben sie weggeschickt.« Die Hand des Grafen schloss sich noch fester um die Pistole. »Wohin ist sie gegangen?«
»Ich bin hier, Monsieur«, antwortete Suzette, die nun plötzlich in der Tür des Schlafzimmers stand.
»Genau wie ich«, sagte Celinas Vater. Dabei schob er die Zofe beiseite, marschierte in das kleine Zimmer, nahm den Hut ab und begann, mit der Krempe gegen sein Bein zu klopfen. Er war nicht allein gekommen. An seinem Arm hing Tante Marie Rose, die einer Ohnmacht nahe schien. Ihre Pflicht als Celinas Anstandsdame wollte sie offenbar trotzdem wahrnehmen.
Rio lachte kurz auf. Celina, die noch immer in die Mündung der Pistole blickte, konnte an der Situation nichts Amüsantes entdecken. Der Graf stieß eine Serie blumiger Flüche aus.
»Was hat das zu bedeuten, Monsieur le Comte?«, wollte Celinas Vater wissen. »Man sagte mir, Sie hätten meine Tochter entführt.«
Der Graf leckte sich die Lippen. »Das war nicht zu vermeiden, Monsieur. Es tut mir Leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Ihre Tochter sich auf ein Techtelmechtel mit diesem ... diesem Maitre d'Armes eingelassen hat. Ich wollte ihren Ruf retten, indem ich sie auf der Stelle eheliche.«
»Hör nicht auf ihn, Papa!«, schrie Celina. »Er wollte mich nach Mexiko verschleppen, aber nur um an meine Mitgift zu kommen!«
»Aber vorher wollte er Celina noch kompromittieren«, fügte Rio hinzu. »Natürlich aus reiner Selbstlosigkeit.«
»Meine Absichten sind nicht schlechter als die deinen«, entgegnete der Graf zähnefletschend. »Du hast dich an ihr vergriffen, damit sie nicht meine Frau werden kann.«
»Das stimmt nicht«, erklärte Celina zu aller Überraschung. »Ich habe ihn darum gebeten.«
»Schweig!«, herrschte ihr Vater sie an.
»Oh meine arme Kleine!«, rief Tante Marie Rose. Mit Tränen in den Augen machte sie sich vom Arm ihres Schwagers los. Sie stürzte zum Bett, warf ungeachtet der Pistole, die noch immer auf Celina gerichtet war, die Arme um ihre Nichte und drückte sie an ihre nach Lavendelwasser duftende Brust.
Zusammenhangslose Gedanken jagten durch Celinas Kopf. Sie merkte, dass ihre Nerven angespannter waren, als sie geglaubt hatte, denn außer tiefer Dankbarkeit dafür, dass die Tante sie wiegte wie ein kleines Kind, empfand sie gar nichts. Dennoch versuchte sie, die ältere Frau so gut es ging aus der Schusslinie zu halten.
»Offenbar war es höchste Zeit, dass Celina mich holen ließ«, sagte der Vater grimmig. »Monsieur le Comte, leider muss ich feststellen, dass Sie meine Tochter mit einer Pistole bedrohen. Lassen Sie die Waffe auf der Stelle sinken.«
»Dieser Mann hielt mir bis vor wenigen Augenblicken den Degen an die Kehle und wartet nur darauf, mich
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