Raecher des Herzens
Techtelmechtel weit hinaus. Insgeheim hoffte sie noch immer, dass auch ihm die gemeinsamen Stunden etwas bedeutet hatten. Aber Rio ließ sie noch nicht einmal wissen, was er nun zu tun gedachte. Sein Feind war tot. Er konnte New Orleans jederzeit verlassen und gehen, wohin er wollte.
Aber jetzt war er hier, und Suzette, die unverbesserliche Optimistin, glaubte tatsächlich noch immer an Rios romantische Absichten. Dabei wollte er sich wahrscheinlich nur beim Herrn des Hauses dafür entschuldigen, dass er die Valliers in seine Familienfehde hineingezogen hatte, und sich dann verabschieden. ln diesem Fall bekam Celina ihn wahrscheinlich gar nicht mehr zu Gesicht. Oder man würde in aller gebotenen Kürze in der Öffentlichkeit Abschiedsgrüße austauschen. Das konnte sie sehr gut auch in ihrem einfachen Hauskleid aus französischer Merinowolle und ohne jeden Schmuck hinter sich bringen. Auch der strenge Dutt, zu dem sie sich das Haar hatte aufstecken lassen, schien dem Anlass durchaus angemessen. Was machte es schon, wenn man sie in diesem Aufzug tatsächlich für eine Trauernde hielt?
»Du willst dich wirklich nicht umziehen?«, fragte Suzette noch einmal.
»Nein.«
»Wenn du mich nicht brauchst, würde ich jetzt gern gehen. Olivier ist unten, und ich ...«
»Ja, geh nur. Geh.« Celina wedelte müde mit der Hand.
Das ließ sich die Zofe nicht zweimal sagen. Celina hörte, wie ihre eiligen Schritte auf der Galerie verhallten. Mit einem traurigen Lächeln nahm sie den Stickrahmen wieder zur Hand.
Eigentlich musste sie nicht im Salon herumsitzen. Sie konnte so tun, als hätte sie im Arbeitszimmer etwas zu erledigen, und einfach hineingehen. Zu gern hätte sie gewusst, was Rio mit ihrem Vater zu bereden hatte. Und so besorgt, wie dieser zurzeit um sie war, würde er sie wahrscheinlich nicht einmal wegschicken. Nur die Angst davor, was sie im Arbeitszimmer hören könnte, hielt Celina auf ihrem Stuhl. Vielleicht war es besser, wenn sie nie erfuhr, was die Männer miteinander besprachen.
Doch es dauerte nicht lange, bis Mortimer sie holen kam. Celina fuhr sich mit der Hand übers Haar und strich ihre Röcke glatt. Dann ging sie vor dem Butler her über die Galerie zum Arbeitszimmer. Mortimer öffnete die Tür für sie und trat beiseite.
»Komm herein, chere«, sagte Monsieur Vallier. Gemeinsam mit Rio stand er am Fenster und winkte sie zu sich. »Du kennst diesen Gentleman, allerdings unter einem anderen Namen. Darf ich vorstellen? Don Damian Francisco Adriano de Vega y Riordan, den wahren Grafen de Lerida.«
Er wurde nach mir benannt, hatte der Graf gesagt. Offenbar war das ganz und gar wörtlich gemeint gewesen. Nur dass Rio den Mädchennamen seiner Mutter eingefügt hatte, wie es den spanischen Gepflogenheiten entsprach. Diesen Teil seines Namens hatte er in den letzten Jahren als Rufnamen benutzt. Der Graf, der Rios Vater den Titel gestohlen hatte, war tot, und Rio konnte sein rechtmäßiges Erbe antreten. Doch der Gedanke war noch zu neu für Celina. Dass der Fechtmeister plötzlich ein Graf sein sollte, erschien ihr seltsam unwirklich. Wie es sich gehörte, bot sie ihm die Hand.
»Monsieur le Comte«, sagte sie mit einer Stimme, die ihr selbst fremd erschien.
»Mademoiselle Vallier«, antwortete Rio. Sein Ton war ernst, doch seine Augen leuchteten, als er Celinas kühle Finger mit seiner warmen Hand umschloss und eine Verbeugung andeutete. Er war überaus korrekt gekleidet. Angefangen von der ordentlich geknoteten Krawatte über den Mantel aus feinem Tuch bis zu der schwarzen Zierborte an der Außennaht seiner Hose und den schwarzen Stiefeln aus weichem Leder entsprach er ganz dem Bild eines vornehmen Edelmannes.
»Es wird dich freuen zu hören, dass der Besuch des Grafen einen offiziellen Charakter hat, Celina«, fuhr ihr Vater fort. »Er hat mir alles über eure Bekanntschaft erzählt, was nötig war, und löblicherweise erklärt, dass er gern den Vertrag übernehmen würde, der im Namen seiner Familie mit der unseren geschlossen wurde. Zwar ist er nicht der Bräutigam, der eigentlich vorgesehen war, doch er betrachtet es als seine Pflicht, den Platz seines Onkels einzunehmen. Die Ehre seiner Familie hat Schaden genommen. Der Graf muss sie wiederherstellen, und die Heirat mit dir ist der erste Schritt dazu.«
»Die Ehre seiner Familie«, wiederholte Celina tonlos.
»Das soll eine kleine Entschädigung sein für alles, was du durch die Hand meines Onkels erleiden musstest«, sagte Rio in ruhigem Ton.
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