Raecher des Herzens
zu Teilen seines eigenen Körpers wurden. Mit einer fließenden Bewegung und absoluter Genauigkeit führte er seinen ersten Angriff.
Schon Sekunden später wusste er, dass er Celinas Bruder mit Leichtigkeit töten konnte. Eigentlich hätte ihn das nicht überraschen dürfen, aber ein wenig mehr Kunstfertigkeit hatte er dennoch erwartet, denn seines Wissens besuchte Vallier regelmäßig Croqueres Studio.
Die Stimmen der Zuschauer wurden leiser und verstummten schließlich ganz. Die meisten von ihnen fochten wenigstens gelegentlich selbst und wussten, dass auch der beste Amateur sich kaum je gegen einen Meister behaupten konnte. Außerdem merkten die Schaulustigen sofort, dass Vallier alles andere als ein begnadeter Fechtschüler war.
Rio spürte Ärger in sich aufsteigen. Er fragte sich, ob es Selbstmordgelüste, Stolz oder Dummheit gewesen waren, die den jungen Mann dazu bewogen hatten, ihn herauszufordern. Vordergründig ging es natürlich im-mer um die Ehre. Denys Vallier konnte es nicht zulassen, dass jemand in seiner Gegenwart eine abwertende Bemerkung über seine Schwester machte. Nicht zum ersten Mal verfluchte sich Rio dafür, dass er seine Zunge nicht im Zaum gehalten hatte. Aber vielleicht hatte Vallier tatsächlich auch nur die erstbeste Gelegenheit beim Schopf gepackt, sich ein prestigeträchtiges Duell mit einem angesehenen Fechtmeister zu sichern. Schon so mancher hatte gehofft, sich ein wenig im Glanz eines Maitre d’Armes sonnen zu können, und sich vielleicht sogar Chancen auf einen ruhmreichen Sieg ausgerechnet. Rio hatte wegen solcher Eitelkeiten bereits des Öfteren sein Leben riskieren müssen.
Denys Vallier war wendig und hatte ein gutes Auge. Das reichte für eine notdürftige Verteidigung. Abgesehen davon fehlte es ihm an Können und Finesse. Versuchte er einen Angriff, so tat er es unkontrolliert und mit viel zu steifem Handgelenk. Ohne Rücksicht auf Verluste stürmte er vor und parierte im Gegenzug Rios Angriffe so fahrig, dass dieser Mühe hatte, seinen Gegner nicht aus Versehen aufzuspießen. Rio verlegte sich darauf, den jungen Mann zu beschäftigen, während er nach einer Möglichkeit suchte, das Duell zu beenden, ohne sich und seinen Gegner zum Gespött zu machen.
Inzwischen war Vallier blass geworden. Die Lippen presste er so fest zusammen, dass sie sich bereits bläulich verfärbten. Hin und wieder atmete er stoßweise zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. In seine Augen, die denen seiner Schwester so sehr glichen, hatte sich ein Ausdruck der Verzweiflung geschlichen. Längst war ihm klar geworden, dass er gegen Rio nicht die geringste Chance hatte, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis der kalte Stahl seine Brust durchbohrte. Es war grausam, ihn zappeln zu lassen, ihm allerhand hoffnungslose Anstrengungen abzuringen, ihm das Gefühl zu geben, er könne sein Schicksal doch noch wenden.
Mehr als einmal hatte Rio im Duell seinen Gegner getötet. Doch dazu war er nur genötigt, wenn sich dieser auf keinen Fall geschlagen geben wollte. Genau wie die meisten Franzosen in New Orleans war Rio ein Verfechter der europäischen Regeln, die zur Wiederherstellung der Ehre lediglich verlangten, dass einer der Gegner mit einer blutenden Wunde vom Felde ging. Die amerikanische Auffassung, ein Duell könne nur mit dem Tod eines der beiden Kontrahenten enden, fand er barbarisch. Hier stand die Rache, nicht die Ehre im Vordergrund. Gegen Denys Vallier nach den amerikanischen Regeln zu verfahren, wäre einem Mord nahe gekommen.
Das Duell zu einem halbwegs guten Ende zu bringen, fiel Rio schließlich leichter als gedacht. Es gehörte nicht viel dazu, Valliers rechten Unterarm zu erreichen. Eine leichte Drehung des Handgelenkes genügte schon. Jeder einigermaßen erfahrene Fechter hätte Rios halbherzig geführten Angriff mit Leichtigkeit abgewehrt. Doch sein Degen erreichte ungehindert das Ziel. Rio spürte, wie die Klinge Haut und Muskeln durchtrennte.
Vallier stieß einen erstickten Schrei aus und ließ den Degen fallen. Noch bevor die Sekundanten das Kommando zum Abbruch geben konnten, wich Rio zurück. Er und Vallier machten jeweils auf dem Absatz kehrt und taten ein paar Schritte in entgegengesetzte Richtungen. Ein Murmeln ging durch die Reihen der Schaulustigen - ob aus Mitgefühl oder aus Enttäuschung über das frühe Ende des Duells war schwer zu sagen.
Valliers Arzt begann umgehend, die Wunde zu untersuchen. Mit einem Baumwolllappen, den er zuvor mit Alkohol getränkt
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