Raecher des Herzens
hatte, wischte er das Blut ab, presste dann den Daumen in das Fleisch des jungen Mannes und unterbrach damit den Blutfluss. Valliers Freunde inspizierten die Verletzung. Nach einer kurzen Besprechung trat der erste Sekundant vor.
»Dr. Buchanan ist der Ansicht, es bestünde die Gefahr, dass unser Mann verblutet, wenn er das Duell fortsetzt. Deshalb muss es unverzüglich beendet werden.«
Mit Bedauern stellte Rio fest, dass er offenbar eine Arterie verletzt hatte. Das war nicht mit Absicht geschehen, konnte aber nicht immer vermieden werden. Er hoffte, dass wenigstens alle Sehnen intakt geblieben waren, damit Vallier keine bleibenden Schäden zurückbehielt.
Rio übergab Caid den Degen und wandte sich an Gilbert. »Frag bitte, ob ich hinzutreten darf, Titi. Ich möchte gern ein paar Worte mit meinem tapferen Herausforderer wechseln.«
Gilbert Rosiere ging zu der anderen Gruppe und kam bald darauf mit der Erlaubnis zurück. In der Zwischenzeit hatte Rio schon seine Ärmel glatt gestrichen und sich Weste und Gehrock übergezogen. Er begab sich nun zu Mademoiselle Valliers Bruder und deutete eine Verbeugung an.
Vallier war blass, sein glühender Eifer verflogen. Fast schüchtern erwiderte er Rios Blick. »Sie wollten mit mir sprechen, Monsieur?«
»Ja«, sagte Rio grimmig. »Kann mein Arzt etwas für Sie tun?«
»Nicht nötig«, antwortete Valliers Doktor. »Ich habe die Blutung unter Kontrolle. Wenn der Arm nicht weiter bewegt wird, hört sie bald ganz auf.«
»Gut.« Rio wandte sich wieder an Vallier. »Erlauben Sie mir zu sagen, dass ich Ihre Verletzung ebenso bedaure wie die Bemerkung, die zu diesem Treffen geführt hat. Ich bitte Sie, nach Möglichkeit beides zu vergessen.«
Sein Gegner hätte sich stur stellen können, hätte nachfragen können, ob dies eine formelle Entschuldigung sei. Doch er verzichtete darauf. Stattdessen streckte er Rio die unverletzte linke Hand hin und sagte: »Mit dem größten Vergnügen.«
Die Großzügigkeit des Jungen ließ sein Ansehen bei Rio wieder steigen. Er ergriff die Hand und sagte: »Wenn Ihre Verletzung verheilt ist, würde ich mich freuen, unter angenehmeren Umständen noch einmal mit Ihnen die Klingen kreuzen zu dürfen. Vielleicht besuchen Sie mich einmal in meinem Studio?«
»Monsieur, ich ... das ist zu viel der Ehre«, stammelte Vallier.
Das war gut möglich, aber Rio meinte seine Einladung ernst. Er hatte Celina Vallier etwas versprochen und konnte das Wohlwollen gegenüber ihrem Bruder also gut noch ein wenig weiter treiben. »Dann bis bald.«
»Ich werde kommen.«
Rio nickte und ging dann zu seinen Freunden zurück. Schon wenige Augenblicke später waren sie auf dem Rückweg in die Stadt.
»Was für eine schöne Entschuldigung«, sagte Titi grinsend. »Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
»Ich habe einen Fehler gemacht und es zugegeben. Mehr nicht«, antwortete Rio gereizt.
Caid warf ihm einen schrägen Blick zu. »Du weißt, dass sich nun jeder junge Heißsporn der Stadt auf deine Zehen stellen oder dir den Ellbogen in die Rippen rammen wird.«
»Unsinn.«
»Warte nur ab. Man wird glauben, du wärest inzwischen zu weichherzig, um noch eine echte Gefahr darzustellen. Oder man hofft, durch eine mäßige Vorstellung dein Mitleid zu erregen und dadurch zu ein paar Privatstunden zu kommen.«
»Ich hatte kein Mitleid mit Vallier.«
»Dann hast du ihn wohl wegen seiner schönen Augen am Leben gelassen. Oder waren es vielleicht eher die Augen seiner Schwester?«
Rio wandte sich dem Freund mit neuer Aufmerksamkeit zu. »Wie kommst du denn darauf?«
»Nun, immerhin hast du deine Bemerkung über sie zurückgenommen. Offenbar glaubst du inzwischen nicht mehr, dass sie nach den drei Trauerjahren aus lauter Verzweiflung jeden Tagedieb heiraten würde. Wer, wenn nicht die Dame selbst, hätte deine Meinung so schnell ändern können?«
»Ich habe nur noch einmal genau darüber nachgedacht.«
»Das kann nie schaden, mon ami.«
»Und was soll das nun wieder heißen?«
»Das weißt du sehr gut. Männer wie du und ich mögen Einlass in das Haus einer so freisinnigen Witwe wie Murelle Herriot finden - besonders wenn sie gerade aus Paris zurückgekehrt ist. Dort ist es im Moment en vogue, sich mit Bohemiens, Künstlern und allerhand anderem Volk zu zeigen. Hier bei uns in New Orleans sollte man mit einer Dame im heiratsfähigen Alter hingegen keinen allzu engen Kontakt suchen. Wenn du eine gewisse Grenze überschreitest, bist du deine Kundschaft schneller
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