Raecher des Herzens
trat ihr Vater in einem knöchellangen persischen
Morgenmantel, die Schlafmütze mit der Quaste noch auf dem Kopf.
»Papa!«, rief Denys und sprang auf. »Haben wir dich geweckt? Wenn ich gewusst hätte, dass du noch schläfst, hätten wir sicher nicht solch einen Lärm gemacht.«
»Papperlapapp«, sagte der Vater unwirsch. Er trat an den Tisch und begrüßte Denys mit einer kurzen Umarmung. »Bon Dieu, warum muss ich von Fremden erfahren, dass sich mein Sohn auf dem Feld der Ehre einem Fechtmeister ausliefern will? Als ich davon hörte, bin ich sofort nach Hause gefahren, aber du warst nicht hier.«
»Ich hätte es dir gesagt, Papa. Aber ich wusste nicht, wo du bist.«
Eine angespannte Stille legte sich über die kleine Gesellschaft. Die leichte Röte, die auf den Wangen des Vaters erschien, hob das dunkle Venengeflecht auf seiner Nase noch stärker hervor. Seine blutunterlaufenen Augen wirkten müder als sonst. »Hm. Nun gut. Du bist noch am Leben. Dafür danke ich der gnädigen Jungfrau und allen Heiligen. Du musst einen Schutzengel gehabt haben. Nach allem, was man so über diesen de Silva hört, kann es nicht anders sein.« Er bedeutete seinem Sohn und dessen Freunden, die sich höflich erhoben hatten, sich wieder zu setzen, und nahm selbst am Kopfende des Tisches Platz. »Und nun berichte, wie es dir gelungen ist, mit dem Leben davonzukommen. Dass du verletzt bist, sehe ich. Aber wie kann es sein, dass die Wunde nicht tödlich war?«
Celina hatte schon mehr gehört, als sie ertragen konnte. Mit der gemurmelten Ausrede, sie wolle nach dem Frühstück sehen, entschuldigte sie sich. Dann ging sie hinunter zur Küche und bat die Köchin, der Herrengesellschaft Kaffee, frisches Brot und Käseomelettes bringen zu lassen. Anschließend schlenderte sie die mit Steinplatten gepflasterte untere Galerie entlang, die Küchengebäude und Wohnhaus verband und wie die obere Galerie als Verbindungsweg zwischen den einzelnen Zimmern in dem Stockwerk fungierte. Über sich konnte sie die Stimmen der Männer hören. Aber sie hatte es nicht eilig, wieder zu ihnen zurückzukehren. Celina lehnte sich gegen eine Säule aus Ziegelsteinen, die mit ockerfarbenem Gips verputzt war. Erst als sie diese feste, bereits von der Sonne gewärmte Stütze im Rücken spürte, merkte sie, wie weich ihre Knie waren.
Sie atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen, indem sie den Blick durch den sonnenbeschienenen Innenhof schweifen ließ. Sie liebte diese ordentliche grüne Oase. Eine riesige Eiche warf bewegte Schatten auf die Pflastersteine, mit denen der Hof ausgelegt war. Ein leichter Wind bewegte die Zweige. Auf den knorrigen Ästen hatten sich dunkelgrüne Farne angesiedelt. Zwischen den Farnwedeln in den seitlichen Beeten duckten sich Winterveilchen. Ein kleiner Vogel labte sich an dem Brunnen unter den Blättern der hohen Bananenstauden und der Palmen, die in dem geschützten Geviert bisher noch keinen Frost gespürt hatten. Der Anblick dieses friedlichen Bildes hätte Celina beruhigen sollen, doch ihre Gefühle waren in Aufruhr.
Rio de Silva hatte sein Wort gehalten. Er hatte ihren Bruder verschont und ihn dabei nicht einmal gedemü-tigt. Die Einladung in de Silvas Studio sorgte dafür, dass Denys in den Augen der Zuschauer und seiner Freunde keine blamable Niederlage erlitten hatte und nicht zum Gespött werden würde.
Eigentlich hätte sie dankbar sein müssen, und in gewisser Weise war sie es auch. Gleichzeitig war Celina bestürzt darüber, wie leicht sie diesen glimpflichen Ausgang des Duells hatte arrangieren können. Nun fragte sie sich, wann und wie der Fechtmeister seine Belohnung von ihr einfordern würde.
Die Antwort auf diese Frage konnte nur er selbst ihr geben.
Im Laufe des Morgens verabschiedeten sich die Freunde ihres Bruders. Denys wollte sich umziehen, ein wenig ausruhen und dann vielleicht die Nase in seine Bücher stecken. Er studierte bei dem bekannten Juristen Judah P. Benjamin und wollte Anwalt werden. Celina besprach mit dem Vater die Pläne für den Abend. Weil sich Denys schonen sollte, erklärte sich Monsieur Vallier widerstrebend bereit, Celina zu einer Soiree im Haus der Kusine ihrer Mutter, Madame Sonja Plauchet, zu begleiten. Sie legten auch fest, was es zum Abendessen geben sollte. Dann kleidete sich der Vater an und ging mit Mortimer, seinem Butler und Leibdiener, auf den Markt unterhalb der Rue de la Levee. Nach einer Stunde kehrten die beiden zurück. Mortimer trug den Einkaufskorb. Darin
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