Raecher des Herzens
lagen ein nasser Grassack mit frischen Shrimps, dazu ein fettes Huhn, vier oder fünf gelbe Äpfel, verschiedene Sorten Salat und allerhand frische Gewürze.
Celinas Vater besprach das Abendessen mit der Köchin. Dann verließ er das Haus, ohne zu sagen, wohin er ging.
Am Nachmittag kam Tante Marie Rose von ihrem Nähkränzchen zurück. Von der Arbeit und dem Tratsch mit den Freundinnen erschöpft, genehmigte sie sich ein Nickerchen. Celina beschäftigte sich eine Zeit lang mit ihrem Stickrahmen. Die zierlichen Stiche in buntem Seidengarn richtig zu setzen, verlangte eine gewisse Aufmerksamkeit und war damit eine willkommene Ablenkung. Gegen Abend nahm sie ein Bad und kleidete sich für die Soiree an. Wahrscheinlich würde sie dort nur Verwandte treffen. Celina wählte für den Anlass ein eher schlichtes, meerblaues Kleid, dessen Rock aus drei übereinander gesetzten Volants bestand. Dazu trug sie Schuhe aus weißem Ziegenleder. Suzette flocht ihr das Haar, steckte die Flechten zu einer hohen Krone auf, legte ihr ein samtenes Halsband mit einem goldenen Anhänger um und reichte ihr ein Cape in goldfarbenem Samt.
Die Soiree war wider Erwarten recht unterhaltsam. Monsieur Sloman, ein bekannter Tenor, der erst kürzlich am St. Charles Theatre aufgetreten war, gab heitere Weisen zum Besten. Danach wurde wie immer getanzt. Die Cremetörtchen, die man zur Stärkung reichte, waren vorzüglich und wurden in den höchsten Tönen gepriesen. Als Ehrengast hatte man den spanischen Grafen eingeladen. Er durfte bei keinem Fest der Saison fehlen. Dass er nicht erschien, verstimmte die Gastgeberin, doch Celina war es einerlei.
Hin und wieder gab es draußen kräftige Regengüsse. Der Winter versprach, sehr nass zu werden. Doch zwi-schen zwei Schauern konnten Celina, ihr Vater und Suzette zum Stadthaus zurückspazieren und brauchten sich keine Kutsche kommen zu lassen. Der Vater lieferte Celina zu Hause ab und ging noch einmal aus.
Vom frühen Morgen einmal abgesehen, war dies ein ganz normaler Tag gewesen. Doch Celina hatte dauernd an ihr Versprechen denken müssen und daran, wem sie ihr Wort gegeben hatte. Kaum ein Augenblick war vergangen, in dem sie sich nicht gefragt hatte, ob Rio de Silva in der Nacht zu ihr kommen würde.
Sie hatte auf dem kurzen Weg zu Kusine Plauchets Haus und auch auf dem Rückweg nach ihm Ausschau gehalten. Doch er befand sich nicht unter den Spaziergängern, die gemeinsam mit den Nonnen im Habit und den Blumen- und Pralinenverkäufern die Bürgersteige bevölkerten. Als Suzette ihrer Herrin nach der Heimkehr aus dem Kleid half, glaubte Celina schon fast, sie habe sich umsonst den Kopf zerbrochen. Wahrscheinlich hatte der Fechtmeister nie ernsthaft erwogen, sie aufzusuchen. Er hatte ihr nur zeigen wollen, wie töricht es war, sich in die Angelegenheiten ihres Bruders einzumischen.
Suzette wünschte Celina schließlich angenehme Träume und ging in ihr eigenes Zimmer, das über der Küche lag. Celina versuchte, in einem Büchlein mit Gedichten des makaberen Poeten Poe zu lesen, doch es gelang ihr nicht, sich auf die Verse zu konzentrieren. Also löschte sie die Kerze und starrte in die Dunkelheit. Schmale Lichtstreifen fielen durch den Fensterladen herein. Die schummrige Beleuchtung stammte von der Straßenlaterne an der Ecke, die mit Walöl gespeist wurde.
Der Regen setzte wieder ein. Celina lauschte der Melodie der Tropfen auf den Steinplatten und Geländern. Ein paar Gitarrenakkorde drangen zu ihr herauf. Wahrscheinlich suchte irgendein Straßenmusikant in einer Toreinfahrt Schutz vor dem Regenguss. Pferdehufe klapperten auf dem Pflaster, und eine Kutsche holperte vorbei. In der Ferne bellten Hunde. Sicher jagten sie eine Katze oder ein anderes kleines Tier durch die Gassen. Seufzend schloss Celina die Augen. Sie nahm sich fest vor, sofort einzuschlafen.
»Guten Abend, Mademoiselle. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lange warten lassen.«
Erschrocken setzte sich Celina kerzengerade im Bett auf und schnappte heftig nach Luft. Ihre Augen durchforschten die Dunkelheit. Sie blieben an den hohen Fenstern des Balkons hängen, der zur Straße hin führte. Die Silhouette eines Mannes hob sich gegen das schwache Licht der Straßenlaterne ab. Er schloss zuerst den äußeren Laden, dann die Balkontür. Das feine Gewebe des Moskitonetzes behinderte Celinas Sicht. Aber die große, athletische Gestalt, die nun vor ihr stand, hätte sie überall erkannt.
Rio de Silva.
»Wie ... wie sind Sie hier
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