Raecher des Herzens
ich nehme die Schuld für meine derzeitige Lage gern auf mich. Schließlich habe ich mich auf Ihre Bitte eingelassen.«
»Ja, aber ...«
»Und es tut mir alles andere als Leid.«
Rio bereute tatsächlich nichts, und das war wohl der größte Fehler. Er konnte nur beten, dass es nicht auch sein letzter sein würde.
Celina blieb mit dem Absatz hängen und stolperte. Rio musste sie ein wenig fester an sich ziehen und sie halten, bis sie sich wieder gefangen hatte. Dann vergrößerte er den Abstand wieder, bemüht die korrekte Distanz einzuhalten. Doch Celina hielt seine Hand noch immer viel fester als nötig. »Aber ich halte das nicht länger aus. Wirklich nicht«, flüsterte sie.
»Hängt es vielleicht damit zusammen, dass Ihr älterer Bruder bei einem Duell ums Leben kam? Starb er durch den Stich eines Degens?«
»Nein, das Duell wurde mit Pistolen ausgetragen«, antwortete Celina mit einem Kopfschütteln. »Und alles nur wegen eines dummen Streits beim Kartenspiel.«
Rio wunderte sich, dass er erleichtert war, das zu hören. »Ein sinnloser Tod ist am schwersten zu ertragen.«
»Ja.« Celina schloss die Finger noch fester um seine Hand. »Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, den Duellen ein Ende zu setzen?«
»Ich könnte den einen oder anderen Herausforderer aufspießen. Das scheint eine gewisse abschreckende Wirkung zu haben.«
»Aber das würden Sie doch nicht tun! Ich meine, nicht nur, damit ich wieder ruhig schlafen kann!«
Rios Lächeln wirkte ein wenig gezwungen. »Nicht mit Absicht, aber passieren kann das immer. Und in Broyards Fall wäre ich vielleicht sogar geneigt, meine übliche Zurückhaltung aufzugeben.«
»Bitte scherzen Sie nicht über diese Dinge.« Als Celina nun zu ihm aufblickte, lagen tiefe Schatten in ihren goldbraunen Augen.
»Nein«, sagte er ruhig. »Sie haben Recht. Die Sache ist wirklich viel zu ernst.«
Siebtes Kapitel
Als die Kutsche mit dem verletzten Maitre d’Armes
langsam die Straße entlangholperte, befand sich Celina gerade im Bourry-d'Ivernois-Warenhaus auf der Rue Chartres. Kleine Jungen rannten neben dem Wagen her und stellten dem Kutscher unzählige Fragen, während sie gleichzeitig wieselflink den Spaziergängern auf den Bürgersteigen auswichen. Das aufgeregte Geschrei der Buben machte auch die Erwachsenen neugierig. Die Kundschaft des Warenhauses eilte zum Ausgang, um nur ja nichts zu verpassen. Auch Celina hastete nach draußen und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ein Blick auf die Kutsche reichte, um sie zu beruhigen. Zum ersten Mal an diesem Morgen konnte sie tief Luft holen.
Das Gefährt, das durch die Rue Chartres rumpelte, war nicht die Kutsche der Valliers. Denys hatte Rio darin im Morgengrauen abgeholt und war mit ihm hinaus zu den Eichen gefahren. Der Verwundete musste Aristide Broyard sein. Rio hatte wieder einmal gesiegt.
Begierig lauschte Celina dem aufgeregten Geschnatter der Menschen auf dem Bürgersteig. Ein Gentleman meinte, der Kampf sei sicher mörderisch gewesen. Immerhin seien die Gegner beide Fechtmeister. Von Broyard wisse man ja, dass er jeden noch so kleinen Vorteil ausnütze, der sich ihm biete. Wenn de Silva gewonnen habe, so zeige das nicht nur, dass er der bessere Fechter sei, sondern auch, dass er sich gegen allerlei hinterhältige Finten zu verteidigen wisse. Ein zweiter Mann erklärte, die Heiligen stünden nun einmal stets auf der Seite der Gerechten.
Ein älterer Herr wollte vom Kutscher wissen, ob er einen Toten im Wagen habe. Der Kutscher antwortete, Broyard lebe noch, sei aber schwer verwundet. Ein Arzt sitze bei ihm. Dieser habe die Wunden bereits notdürftig versorgt und wolle in seinen Praxisräumen versuchen zu retten, was zu retten war. Leider wusste der Kutscher nicht, was dem anderen Gentleman fehlte. Aber allem Anschein nach war auch dieser nicht ohne Blessuren davongekommen.
»Suzette?« Celina sah sich suchend um.
Die Zofe trat an ihre Seite. »Ja, Mam’zelle ?«
»Wir sollten schleunigst nach Hause zurückkehren. Vielleicht hat Denys schon eine Nachricht geschickt.«
»Ja, Mam’zelle. Und falls nicht, gibt es auch noch andere Möglichkeiten, etwas herauszufinden.«
Celina nickte. Ein Angestellter verpackte ihren Einkauf, etliche Ellen von einem hauchfeinen italienischen Stoff. Er war für neue Sommervorhänge bestimmt, die unter den Übervorhängen in Celinas Schlafzimmer angebracht werden sollten. Bourry d’Ivernois hatte gerade eine Ladung mit Frühjahrsware aus Le Harve hereinbekommen.
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