Raecher des Herzens
gesehen worden, dessen Besuch weder ich noch die Tante dir erlaubt hätten. Ist das möglich?«
»Es war ein spontaner Einfall, Papa. Ich wollte einmal sehen, wie eine solche Veranstaltung vonstatten geht. Mehr steckte nicht dahinter.«
»Wenn du deinen Ausflug für so harmlos hältst, warum hast du dann gewartet, bis die Tante aus dem Haus war?«
»Das war nicht richtig. Es tut mir Leid.«
»Ich bin sehr enttäuscht von dir, Celina, nicht zuletzt deshalb, weil du Denys mit hineingezogen hast. Versuch nicht, es abzustreiten. Der Vorschlag, diesen Ball zu besuchen, kann unmöglich von ihm stammen. Du hast ihn überredet, dich zu begleiten. Aber wie dem auch sei, was einem jungen Mann erlaubt ist, gilt noch lange nicht für ein behütetes Mädchen aus gutem Hause.«
Celina biss die Zähne zusammen, um nicht empört zu widersprechen, denn damit hätte sie alles nur noch schlimmer gemacht. Doch in Anwesenheit des Grafen zurechtgewiesen zu werden, war entwürdigend. Dass dieser überaus zufrieden dreinblickte, machte die Sache nur noch schlimmer. Aber ewig würde die Standpauke nicht dauern, und schließlich kam es auf das Ergebnis an. Celina war gern bereit, dafür ein paar peinliche Augenblicke in Kauf zu nehmen.
Weil sie schwieg, wandte sich ihr Vater an seinen Gast. »Sie berichteten mir soeben von den Vorgängen, die dazu führten, dass meine Tochter in einen hässlichen Streit hineingezogen wurde, Monsieur le Comte.« Er benutzte die französische Form des Titels. »Hätten Sie die Güte fortzufahren?«
»Selbstverständlich. Obwohl ich sagen muss, dass es mir kein Vergnügen bereitet, derjenige zu sein, von dem Sie all diese Dinge erfahren.« Der Graf zog ein Taschentuch aus seinem Ärmel. Ein schwerer, moschusartiger Duft kitzelte daraufhin Celinas Nase. Um-ständlich tupfte sich de Lerida die Schweißperlen von der Oberlippe. »Mademoiselle Vallier unterhielt sich gerade mit einem jungen Mann, ich glaube, es war ein Freund ihres Bruders, da trat ein Fechtmeister, dieser Monsieur de Silva hinzu. Er forderte sie zu einem Tanz auf. Löblicherweise lehnte sie ab. Doch so leicht wollte sich dieser Kerl nicht abwimmeln lassen. Er besaß sogar die Frechheit, Ihrer Tochter die Hand auf den Arm zu legen. Ihr Protest erregte die Aufmerksamkeit eines anderen bekannten Fechtmeisters. Ich spreche von Monsieur Aristide Broyard. Ein Streit entspann sich, der darin gipfelte, dass sich Broyard erbot, de Silva Manieren beizubringen.«
»Nein, so war es nicht ...«, begann Celina.
Ihr Vater warf ihr einen strengen Blick zu. »Würdest du den Grafen bitte aussprechen lassen?«
»Aber Papa ...«
»Du willst doch nicht etwa unseren geschätzten Gast beleidigen, indem du ihn der Lüge bezichtigst? Also lass ihn bitte fortfahren.«
»Ich danke Ihnen«, sagte der Graf. Dabei schlug er die Augen nieder und neigte bescheiden das Haupt. »Wie ich gerade sagte, Monsieur Broyard wollte de Silvas unverschämtes Verhalten verständlicherweise nicht hinnehmen und beschloss, diesem Flegel eine Lehre zu erteilen. Dadurch kam es zu einer Herausforderung zum Duell. Anschließend wurde Mademoiselle Vallier von dem Mann, der sie belästigt hatte, auf die Tanzfläche geführt.«
»Das ist alles nicht wahr. Es war Monsieur Broyard, der sich von mir keinen Korb geben lassen wollte! Monsieur de Silva bewahrte mich vor seinen ungebetenen Avancen.«
Der Mann, dessen Verlobte Celina werden sollte, schüttelte mit einem herablassenden Lächeln den Kopf. »Frauen wie Ihre Tochter sind wirklich überaus zart besaitet, nicht wahr, Monsieur? Ich fürchte, die unschöne Szene hat sie so verstört, dass sie die Fakten durcheinander bringt.«
»Ja, ganz offenbar«, sagte Celinas Vater grimmig.
»Ich versichere dir, dass es nicht so ist«, widersprach Celina erneut. Auch sie wandte sich nur an ihren Vater, denn offenbar wollte ihr Bräutigam nicht direkt mit ihr sprechen. »Wenn sich die Sache so abgespielt hätte, wie der Graf sie beschreibt, hätte er dann nicht alles daransetzen müssen, mir beizustehen?«
Ihr Vater hob eine Augenbraue, und einen Augenblick lang schien es, als denke er über Celinas Einwände nach.
Doch da ließ der Graf ein kehliges Lachen hören. »Broyard hätte meine Hilfe sicher abgelehnt. Abgesehen davon hatte ich den Eindruck, dass es der jungen Dame gar nicht so unangenehm war, dass zwei Männer sich um sie stritten. Sie kann recht unerschrocken sein. Man hätte fast meinen können, sie genieße die Aufmerksamkeit eines
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