Raecher des Herzens
steifen Umgangsformen, die zwischen Männern und Frauen üblich waren. Sie kannte Hippolyte seit ewigen Zeiten, hatte schon als Kind mit ihm gespielt, und doch konnten sie einander nicht beim Vornamen nennen. Mit der Sitte, einander mit Nachnamen anzusprechen, sollte allzu viel Vertrautheit unmöglich gemacht werden, denn diese konnte eine Gefahr für die Pläne der Eltern darstellen. Selbst eine einfache Frage war unter diesen Umständen nicht so leicht zu formulieren. »Wären Sie so freundlich, mir zu sagen, ob man über mich spricht?«, presste Celina schließlich verlegen hervor.
»Aber selbstverständlich tut man das. Immerhin haben Sie den dicksten Fisch der Saison an Land gezogen. Warum sollte man nicht darüber reden?«
»Ist das alles?«
»Reicht Ihnen das denn nicht?«
Celina nahm an, dass der Freund ihres Bruders nur höflich sein wollte. »Manche Leute scheinen zu glauben, es gäbe irgendeine Art von Verbindung zwischen Monsieur de Silva und mir.«
Hippolytes Augen folgten Celinas Blick bis zu der Stelle, wo Marthe gerade mit einem jungen Mann tanzte, der sich nach Art der Romantiker kleidete und außerdem ihr Vetter war. »Sprechen Sie von ihr? Machen Sie sich nichts daraus. Die ist nur neidisch, weil ihre eigene Zukunft so öde sein wird.«
Celina wusste, was Hippolyte meinte. Schon als Kleinkind hatten Marthes Eltern sie mit dem Sohn einer befreundeten Familie verlobt. Er lebte auf einer großen Plantage am Red River und galt nicht gerade als Adonis. Marthes Zukünftiger ging lieber auf Schnepfenjagd, brachte Hirsche zur Strecke oder stellte mit seiner Hundemeute Füchsen nach, als sich während der Saison in New Orleans blicken zu lassen. Die Hochzeit sollte nach Ostern, also Mitte April stattfinden.
Noch immer glaubte Celina, dass Hippolyte nicht alles sagte, was er wusste. Doch sie beließ es dabei und plauderte stattdessen über Belanglosigkeiten, bis die Musik abbrach und sie zu ihrer Tante zurückkehren konnte.
Wieder saß Celina unbeachtet zwischen den Anstandsdamen auf ihrem Stuhl. Denys war noch immer nicht erschienen, doch Celina hatte nun endgültig genug. Sie bat die Tante, mit ihr nach Hause zu gehen. Die Frauen zogen sich die Kapuzen ihrer Capes über die Köpfe, um sich gegen den eisigen Wind zu schützen, und ließen sich von Hippolyte bis zum nahe gelegenen Stadthaus begleiten. Am Hoftor verbeugte sich der Gentleman und wünschte ihnen eine gute Nacht. Dann kehrte er zu dem Fest zurück. Falls er Denys noch sah, wollte er ihm sagen, dass die Damen seiner Begleitung nicht mehr bedurften.
Für Suzette hätte es bei der eher unspektakulären Veranstaltung nichts zu tun gegeben, deshalb war sie zu Hause geblieben. Offenbar hatte sie auf Celina gewartet und war dabei eingenickt. Sie schlummerte so friedlich, dass Celina sie eigentlich nicht mehr wecken wollte. Doch als das Schloss der Schlafzimmertür beim Schließen leise klickte, schreckte Suzette hoch.
»Hattest du einen schönen Abend?«, fragte sie ein wenig benommen und streckte sich wie eine Katze. Dann schüttelte sie sich, um richtig wach zu werden.
»Eigentlich war es ziemlich langweilig«, antwortete Celina. Sie streifte das Cape ab und zog sich die Handschuhe aus.
»Niemand Besonderes unter den Gästen?«
»Niemand Besonderes«, antwortete Celina kurz.
Suzette schürzte die Lippen. Sie drehte Celina so, dass sie die Knöpfe auf dem Rücken des pfirsichfarbenen Seidenkleids erreichen konnte. »Irgendetwas stimmt nicht mit dir. Was war denn los? Willst du es mir nicht sagen?«
Celina nickte. Es tat gut, mit einer Person sprechen zu können, die sie verstand und von der sie wusste, dass sie das Gehörte für sich behalten würde.
»Auf dieses Geschwätz solltest du nichts geben, Mam’zelle«, sagte Suzette, die schweigend zugehört hatte. »Wenn du erst verheiratet bist und weit weg in einem fremden Land lebst, ist alles vergessen.«
»Ich würde aber lieber in New Orleans bleiben und mir hier einen kleinen Rest von Respektabilität bewahren.«
»Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du zu Monsieur de Silva gegangen bist.«
»Ich weiß. Ich bin selbst schuld, dass alles so gekommen ist.«
»Dafür ist Monsieur Denys dank deiner Fürsprache noch am Leben.«
»Meinst du? Vielleicht war er am Ende nie ernstlich in Gefahr.«
»Und wie hättest du das wissen sollen?« Suzette zog Celina das Kleid über den Kopf und hängte es auf einen Bügel. Dann legte sie ihr das Nachthemd über die Schultern und machte
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