Raecher des Herzens
für die Reise und für Ihren Unterhalt, bis Sie einen Begleiter gefunden haben.«
»Ja«, sagte Celina nachdenklich. »Und ich überlege auch, wie ich es anstellen kann, dass mir niemand aus der Familie folgt und mich zurückholt. Vielleicht war meine ursprüngliche Idee, meine Jungfräulichkeit einem namhaften Fechtmeister zu schenken, doch gar nicht so dumm. Zwar könnte ich mir nicht vorstellen, hier in der Stadt in Schande zu leben. Aber sicher würde man mich nach einem solchen Vorfall gern ziehen lassen.«
»Sie wollen Ihre Freiheit erlangen, indem Sie einen Skandal provozieren?« Rios Stimme war rau. Plötzlich lag eine versengende Hitze in seinem Blick.
»Der Skandal ist ohnehin schon fast perfekt. Und dabei gibt es dafür bislang gar keinen Grund.«
»Sie meinen, unter diesen Umständen hätten Sie nichts zu verlieren.«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Das ist Erpressung.«
Celina sah Rio überrascht an. »Es gibt noch andere Fechtmeister in der Passage de la Bourse.«
Rio antwortete mit einem Laut, der sich anhörte, als habe man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt. Er ließ Celina los und trat ein paar Schritte zurück. Finster starrte er das geschnitzte Kruzifix an der weiß getünchten Wand an. »Dann haben Sie Ihre Wahl wohl bereits getroffen.«
»Sie meinen meine zweite Wahl? Bis jetzt noch nicht.«
Lange schwieg Rio. Dann sah er Celina an. »Sie wissen nicht, was Sie da sagen. Das Leben, von dem Sie so leichthin sprechen, ist hart und gefährlich. Eine Ehe mit dem Grafen, so widerwärtig der Gedanke auch sein mag, wäre unendlich viel einfacher zu überstehen.«
»Sie fürchten, ich könnte auf der Straße enden? Das halte ich für unwahrscheinlich. Meine Mutter starb nicht mittellos. Sie war das einzige Kind ihres Vaters. Er war bei ihrer Geburt bereits in die Jahre gekommen und liebte sie über alles. Schon früh brachte er ihr bei, seinen Besitz zu verwalten, und nach ihrer Heirat kümmerte sich Mutter um das Vermögen der Familie. Papa war froh darüber, denn er selbst tut sich in diesen Dingen schwer. Seit Mutter nicht mehr lebt, habe ich mich um unseren Besitz, um Käufe und Verkäufe, um unsere Pächter und Schuldner gekümmert. Ich weiß, dass mir ein ansehnliches Erbe zusteht. Vielleicht werde ich für einige Zeit einen Begleiter brauchen, aber keinesfalls für immer.«
»Ihr Vater könnte Sie enterben.«
»Dann müsste ich mein Recht eben vor Gericht erstreiten, so wie es die Baroness de Pontalba getan hat.«
»Sie sind also fest entschlossen. Nichts wird Sie dazu bringen, den Grafen zu heiraten?«
»Lieber sterbe ich.«
Celina meinte, was sie sagte. Im Vergleich zu anderen jungen Frauen hatte sie in den letzten Jahren notgedrungen ein recht unabhängiges Leben geführt. Sie konnte sich nicht vorstellen, einen anderen Menschen über ihren Körper bestimmen zu lassen und noch dazu ihren freien Willen aufzugeben. Außerdem hatte sie inzwischen eine - wenn auch vage - Ahnung davon, welche geistige und körperliche Nähe zwischen Mann und Frau möglich war. Diese hatte nichts mit ehelichen Pflichten, nichts mit gewalttätiger Unterwerfung oder unbeholfenem und peinlichem Gezerre im Dunkeln zu tun. Celina wollte diese Nähe erleben, sehnte und verzehrte sich danach. Auf keinen Fall würde sie sich mit weniger zufrieden geben.
»Nehmen wir an, der Maitre d’Armes, der Ihnen Ihren Wunsch erfüllt, würde Sie selbst heiraten wollen. Was dann?«
»Sie meinen ...« Celina hielt inne. Er konnte unmöglich von sich selbst sprechen.
»Sie wären nicht die erste betuchte Erbin, die in eine Ehe gezwungen wird, weil sich ein Mann mit ihr hat erwischen lassen«, sagte Rio. »Manche dieser Frauen wurden sogar verschleppt und eingesperrt, bis sie bereit waren, vor den Altar zu treten.«
»Sie haben keine besonders gute Meinung von den Vertretern Ihres Berufsstandes.«
»Vielleicht bezieht sich mein Misstrauen eher auf Männer im Allgemeinen. Sobald Geld und eine schöne Frau im Spiel sind, ist nichts mehr unmöglich. Sie täten gut daran, nicht allzu vertrauensselig zu sein, denn falls ich mich auf Ihren abenteuerlichen Plan einlasse, würde ich nicht einmal für mich selbst die Hand ins Feuer legen.«
Celina blinzelte überrascht. Sie musste die Lippen mit der Zunge befeuchten, bevor sie sagen konnte: »Heißt das, Sie könnten sich vorstellen, mir doch behilflich zu sein?«
Draußen heulte der Wind sein Lied. Er ließ ein rostiges Straßenschild in monotonem Rhythmus
Weitere Kostenlose Bücher