Raecher des Herzens
vorgelagerten Inseln. Auch am Ouachita River oder auf der Plantage eines großzügigen Pflanzers könnte der Sommer recht angenehm sein. Selbst eine Reise mit einem Dampfschiff, das gen Norden fährt, ist in dieser Zeit einem Aufenthalt in der Stadt vorzuziehen.«
»Und warum bleibst du trotz allem hier?«
Pepe drehte sein Weinglas zwischen den Händen. »Es erscheint mir irgendwie feige, vor Kleinigkeiten wie der Hitze und dem Fieber davonzulaufen. Und ein Feigling bin ich schließlich nicht.«
»Und wenn du eine Familie hättest?«
»Das wäre etwas anderes. Wenn es darum geht, die Seinen zu schützen, darf man ruhig einmal übervorsichtig sein.«
Rio musterte Pasquale. »Sie haben weder Frau noch Kinder?«
Der Italiener schüttelte den Kopf. »Man kann nicht gleichzeitig ein guter Fechtmeister und ein guter Ehegatte und Vater sein. Das eine lenkt vom anderen ab. Aber wie steht es mit Ihnen?«
»Genauso.« Rio erinnerte der Verlauf des Gesprächs an die ersten Augenblicke eines Kampfes, wenn die Gegner versuchten, die Stärken und Schwächen ihres Gegenübers ausfindig zu machen. Er beschloss, zum Angriff überzugehen. »Sie sind immerhin schon lange genug in der Stadt, um die Bekanntschaft des Grafen de Lerida gemacht zu haben. Oder sind Sie ihm bereits vorher begegnet? Vielleicht sind Sie ja sogar auf demselben Schiff gereist.«
»Ach ja, der Graf, ein Mann von Welt.« Pasquales Lächeln wirkte ein wenig angestrengt. »Woher wissen Sie denn, dass wir uns kennen?«
»Ich erinnere mich nicht, wie ich davon erfahren habe.« Rio lehnte sich zurück. »Es wird so viel geredet.«
»Offengestanden finde ich es beunruhigend, dass über meine persönlichen Angelegenheiten scheinbar so leichtfertig geplaudert wird.« La Roches Blick wurde hart.
Pepe blickte ein wenig besorgt von einem Mann zum anderen. »Klatsch und Tratsch gehören in New Orleans geradezu zum guten Ton«, sagte er beschwichtigend.
»Allerdings«, sagte Rio. »Wer sich daran stört, sollte tunlichst alles vermeiden, womit er das Gerede anheizen könnte.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Die Stimme des Italieners klang kühl.
»Für einen Fechtmeister ist es zwar nicht einfach, stets eine reine Weste zu behalten, aber es ist nicht unmöglich.«
»Gibt es etwas, das ich in diesem Zusammenhang lieber unterlassen sollte?«
Rio sah dem Italiener fest in die Augen. »Das müssen Sie mit sich selbst und Ihrem Gewissen abmachen.«
Sein Gegenüber musterte ihn lange und eingehend. Offenbar nahm La Roche keinen Anstoß an dieser Antwort. Er verengte nur die Augen ein wenig und sagte dann: »Soweit ich weiß, sind Sie noch nicht viel länger in der Stadt als ich selbst. Wo waren Sie denn überall, seit Sie Spanien verlassen haben?«
»An vielen Orten. Aber keiner davon ist mir zur Heimat geworden.«
»Sicher kennen Sie Havanna.«
»Ich war dort.«
Um La Roches Lippen spielte ein schiefes Lächeln. »Sie haben Spuren hinterlassen. Einige Gentlemen sind seit Ihrem Besuch in der Stadt um ein paar Narben reicher.«
Rios Pulsschlag beschleunigte sich in dem Maße, wie sich seine Aufmerksamkeit schärfte. Offenbar war er nicht der Einzige, der das Kommen und Gehen anderer Leute mit Interesse verfolgte. »Sie sind gut informiert.«
»Havanna ist eine schöne Stadt. Ein wenig erinnert sie an New Orleans. Es heißt, Sie wären auch in Rom und Paris gewesen.«
»Haben Sie diese Städte ebenfalls besucht?«
»Ja. Offenbar sind wir derselben Route gefolgt.«
»Welch ein glücklicher Zufall.« Mehr sagte Rio nicht. Er wollte sehen, ob der Italiener von sich aus noch mehr preisgeben würde.
»Schon möglich. Sollen wir auf das Glück anstoßen?«
So leicht ließ sich La Roche nicht aus der Reserve locken. Das war verständlich. Die meisten Fechtmeister, die Rio kannte, sprachen nicht gern über ihre Vergangenheit. Selbst Nachfragen, wie und warum sie gerade nach New Orleans gekommen waren, wurden als aufdringlich empfunden. La Roches hartnäckiges Beharren auf dem Thema musste also einen Grund haben. Wollte er andeuten, dass er Rio gefolgt war? Rio überlegte angestrengt, ob er bei einem der zahllosen Duelle, die seinen Weg pflasterten, womöglich einen Freund oder einen Verwandten des Italieners verwundet hatte. Das würde erklären, warum sich dieser mit dem Grafen zusammengetan hatte. Zu gern hätte Rio gewusst, ob La Roche nach einer Gelegenheit für eine Herausforderung suchte.
Er hob sein Glas und schlug einen verbindlichen Ton an. »Auf das
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