Raecher des Herzens
Glück und die glücklichen Zufälle.«
Bald darauf verließ er die Bar. Pepe versuchte, ihn zum Bleiben zu überreden, aber Rio wollte nicht länger verweilen. Denys Valliers Verschwinden stellte ihn vor gewisse Probleme, und er wusste noch nicht, ob sie lösbar waren. Auch wie viel Zeit ihm für eine Lösung blieb, vermochte er nicht abzuschätzen. Der Graf war ein alter Wolf, der sich als betulicher Gentleman tarnte. Seine Fangzähne verbarg er hinter der etwas al-bern anmutenden Maske aus Jovialität und Hochmut, mit der er jeden zu täuschen vermochte, der ihn nicht näher kannte. Offene Konfrontationen vermied er nach Kräften. Er verfolgte seine Ziele vielmehr mit List.
Während Rios Aufenthalt in der Bar war der Nebel dichter geworden. Wie eine dicke Decke lag er über den Straßen. Rio konnte kaum seine Stiefelspitzen sehen. Gespenstisch schob sich der Dunst um die Ecken und sammelte sich unter den Torbögen zu undurchdringlich scheinenden Wolken. Selbst die Geräusche hatten sich verändert. Das empörte Fauchen einer Katze, die sich vor Rios Stiefel in Sicherheit brachte, klang, als käme es aus weiter Entfernung. Gleichzeitig hörte sich das ferne Heulen eines Hundes an, als wäre das Tier zum Greifen nahe. Alte Weiber orakelten gern, dass sich der Tod auf diese Weise ankündige. Aber Rio hatte für derlei Aberglauben nichts übrig.
Wie Dämonen tauchten die Männer aus dem Nebel auf. Aus einem Torbogen heraus warfen sie sich Rio in den Weg. Sie waren zu dritt und schlugen schnell und fast geräuschlos zu. Nur die Knüppel in ihren Händen zischten, wenn sie durch die Luft sausten. Diese Kerle waren Gewohnheitsverbrecher aus den Docks, darauf aus, hilflose Betrunkene zu berauben.
Doch diesmal hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Mit einem schnellen Schritt wich Rio zurück. Das Fauchen der Klinge, die er reflexartig aus der Scheide riss, war eine leise, tödliche Warnung.
Doch dann traf ihn ein erster Schlag von hinten. Rio sah ihn nicht kommen, er spürte ihn nur und versuchte im letzten Augenblick auszuweichen. Das gelang ihm lediglich zum Teil. Der Knüppel traf seine verletzte linke Schulter und lähmte seinen Arm bis zu den Fingerspitzen. Der durchdringende Schmerz ließ Rio aufstöhnen. Er duckte sich, vollführte dabei eine schnelle Drehung und sprang vom Bürgersteig auf die schlammige Straße. Seine Angreifer waren zu fünft, nicht zu dritt, wie er anfangs geglaubt hatte. Rio wich zurück, bis er alle fünf vor sich hatte.
Mit gezückten Messern und hoch erhobenen Knüppeln bauten sie sich vor ihm auf. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle keiner Rios Klinge schmecken. Doch dann stürzten sie alle gleichzeitig auf ihn zu. Schreiend, fluchend und wild um sich schlagend griffen sie an.
Dem Ersten zog Rio den Degen quer über die Brust. Der Angreifer sprang zurück und hielt sich die klaffende Wunde. Dem zweiten Mann gelang es durch eine rasche Drehung, Rios Angriff auszuweichen. Der dritte parierte Rios Hieb mit dem Knüppel. Die Klinge fraß sich in das Holz und verklemmte sich dort. Der Angreifer zerrte an dem groben Holz und versuchte so, Rio die Waffe aus der Hand zu reißen. Doch Rio ließ sich nicht abschütteln, obwohl jede der heftigen Bewegungen heiße Wellen des Schmerzes durch seine verletzte Schulter rollen ließ. Sein linker Arm hing noch immer nutzlos und wie gelähmt herab.
In diesem Augenblick nahten schnelle Schritte. Rio hatte keine Zeit zu überlegen, ob sich ein Gendarm oder noch mehr Gesindel näherte. Er brauchte seine ganze Kraft und Konzentration, um die Angriffe der Männer abzuwehren.
Doch plötzlich war er nicht mehr allein. Eine große, athletische Gestalt stand an seiner Seite. Rio hörte das vertraute Geräusch einer Klinge, die aus der schützenden Scheide gerissen wurde. Nun blitzten den Feinden zwei Degen entgegen.
Die Angreifer wichen verwirrt zurück. Hastig versuchten sie, aus der Reichweite der tödlichen Klingen zu entkommen. Fluchend und schreiend verschwanden die ersten drei im Nebel. Schließlich machten auch die beiden anderen auf dem Absatz kehrt und stürzten davon.
Rio richtete sich auf und ließ den Degen sinken. Jetzt erst hatte er Zeit, seinen Helfer in Augenschein zu nehmen. Neben ihm stand Nicholas Pasquale. Der Italiener wirkte entspannt und unbekümmert. Er schien kaum außer Atem zu sein. Rios erstaunten Blick quittierte er mit einem Lächeln.
»Nun, Monsieur?«
»Sie kamen gerade zur rechten Zeit«, antwortete
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