Rächerin der Engel
möchte. Möchtest du etwa auch ein ernsthaftes Gespräch führen?«
»Werd nicht frech, Bree. Nicht jetzt.«
Antonia war sieben Jahre jünger als sie. In der Kindheit hatte ihr Bree das Haar gebürstet, ihr Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen und auf dem Spielplatz auf sie aufgepasst. In späteren Jahren hatte sie ein wachsames Auge auf die unzähligen hingerissenen halbwüchsigen Jungen gehabt, die ihrer Schwester auf der Highschool nachstellten. Sie hatte sich schützend vor Antonia gestellt, als ihre Eltern ausgerastet waren, weil ihre Schwester das Studium schmiss. Und sie hatte sie bei sich aufgenommen, als sie zu Hause ausgezogen war, um Schauspielerin zu werden. In all den Jahren hatte sich Antonia nicht ein einziges Mal auf die Hinterbeine gestellt und versucht, sie zu bevormunden. Bis jetzt.
»Okay«, sagte Bree amüsiert.
»Und wenn du weiterhin so grinst, zieh ich dich so am Haar, dass deine Kopfhaut eine ganze Woche gerötet ist.«
Bree schob sich das Haar hinter die Ohren. Es war lang und silberblond – und wie Anthony Haddad erraten zu haben schien, war es das Einzige an ihr, worauf sie sich etwas einbildete. Im Berufsleben trug sie es in einem Kranz aus Zöpfen, doch an diesem Wochenende hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, es zu flechten, so dass es ihr frei über den Rücken fiel, fast bis zur Taille. »Alles klar.« Da ihre Schwester verärgert aussah, schob sie noch eine Entschuldigung nach. »Tut mir leid. Normalerweise bin ich es, die mit dir in diesem altväterlichen Ton spricht. Nicht umgekehrt.«
»Tja, dann gewöhn dich mal dran. Ich meine, es ist doch unsere Aufgabe, dass wir uns umeinander kümmern, richtig?«
»Richtig. Wie sich das für Schwestern gehört.«
Nervös atmete Antonia tief durch. »Also was ist eigentlich mit dir los?«
»Was soll denn das heißen? Mit mir ist gar nichts los.«
»Irgendetwas stimmt doch nicht.«
Bree raffte ihr Haar zusammen und drehte es zu einem langen Pferdeschwanz. »Hast du mal ein Haargummi?«
»Irgendwas stimmt einfach nicht mit dir … Was war das eben? Haargummi? Wir sprechen hier über äußerst wichtige Dinge, und du denkst nur an dein Haar?«
Bree hielt ihr Haar mit der einen Hand fest und streckte die andere aus. »Ich will ja nur verhindern, dass du nach meinem Haar grapschst.« Antonia fummelte ein Gummiband aus der Tasche ihrer Jeans. Bree setzte sich neben sie aufs Sofa und schlang sich das Band ums Haar. »Und jetzt schieß los«, sagte sie freundlich.
Plötzlich sah Antonia wesentlich älter aus als zweiundzwanzig Jahre. »Ich will nicht, dass du hier die freundliche große Schwester oder die stellvertretende Mutter spielst. Ich will, dass du mal über dich selbst nachdenkst, und außerdem …«, sie holte tief Luft, »… will ich auch, dass du dich untersuchen lässt.«
Bree starrte sie an.
»Zuerst von einem Arzt. Zum Beispiel einem Internisten. Und dann vielleicht von einem Seelenklempner.«
»Sei nicht albern.« Brees Stimme schien jemand anderem zu gehören.
»Ich bin nicht albern.«
»Du glaubst, ich werde langsam verrückt ?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich weiß nur, dass du sehr merkwürdig geworden bist, seit wir hier hergezogen sind.«
»Vielleicht könntest du dich mal ein bisschen konkreter ausdrücken«, sagte Bree. Sie konnte äußerst sarkastisch sein, wenn sie es darauf anlegte, und im Augenblick legte sie es darauf an.
Antonia runzelte die Stirn. »Ich soll mich konkreter ausdrücken?«, entgegnete sie. »Das kannst du haben! Ich höre, wie du mit Leuten redest, wenn ich aber ins Zimmer komme, ist niemand da. Ich höre dich nachts schreien, weil du schlimme Träume hast. Und dann diese riesigen, unheimlichen Hunde! Die du Miles und Bellum nennst.«
»Das sind russische Doggen«, sagte Bree. »Ich hab dir doch schon erzählt, dass ich für Professor Cianquino auf sie aufpasse, während er verreist ist.« Das war gut geschwindelt. Das hätte ihr auch schon früher einfallen können. »Das sind zwei völlig normale russische Doggen.«
»Das hast du mir überhaupt nicht erzählt. Und wenn du es getan hättest, hatte ich gesagt: Quatsch, Quatsch, Quatsch! Wenn das russische Doggen sind, bin ich der König vom Mars.«
»Wie bitte?«, fragte Bree verwirrt.
Antonia stand auf und stemmte empört die Hände in die Hüften. »Ich weiß, dass du nicht allzu viel Respekt vor mir hast, Bree. Schließlich bin ich deine beschränkte kleine Schwester und so. Aber zufällig hab ich die Hunde
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