Rächerin der Engel
Es hatte sie schon geärgert, dass Antonias Talente Anthony Haddad so kalt gelassen hatten. Heute mussten die Winston-Beauforts einige Federn lassen. Bree reckte das Kinn vor.
»Sie haben doch wohl kompetente Mitarbeiter?«, fragte Tully in scharfem Ton.
»Die habe ich in der Tat«, erwiderte Bree. »Jeder von ihnen ist ein wahrer Engel.«
Es klopfte an der Tür, und Danica kam mit einem Tablett herein, das sie auf den Konferenztisch stellte. Nachdem sie Bree eine Tasse schwarzen Kaffee eingeschenkt hatte, reichte sie Tully ein großes Glas, das außer einigen Eisstücken offenbar unverdünnten Scotch enthielt. Tully nahm es mit einem leisen, erleichtert klingenden Seufzer und hob es in die Höhe. »Auf dich, Russ.« Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, sah sie Danica stirnrunzelnd an. »Das ist Glenlivet. Was ist denn mit dem guten Zeug passiert?«
»Den Laphroaig mussten wir nachbestellen«, sagte Danica. Sie zögerte, warf einen Blick auf Bree und fügte hinzu: »Die Getränkelieferanten wollten erst mal Rücksprache halten, bevor sie die nächste Lieferung schicken.«
»Vermute, die wollen ihr Geld. Das muss Rutger vergessen haben.« Tully entließ Danica mit einer Handbewegung. »Rufen Sie ihn gleich mal an. Heute ist er in Venedig, im Intercontinental.«
»Rutger ist Mr. van Houghton, ja?«, fragte Bree, nachdem sich die Tür hinter Danica geschlossen hatte. Um sich Klarheit zu verschaffen, fügte sie hinzu: »Ist es Mr. van Houghton, der mir meinen Vorschuss zahlen wird?«
»Vorschuss«, sagte Tully. Das Glas mit beiden Händen umfassend, lehnte sie sich zurück. »Es gibt eine Menge Rechtsanwälte, die sich nur um der Publicity willen darum reißen würden, die O’Rourkes zu vertreten, wissen Sie.«
»Zu denen gehöre ich nicht«, entgegnete Bree.
»Und wie viel, glauben Sie, sind Sie wert?«
»Mein üblicher Vorschuss beträgt zehntausend. Aber bei Ihnen …«, Bree machte um des Effekts willen eine Pause, »… eher fünfzehntausend.«
Tully lachte. Das heißt, sie stieß jenes kurze scharfe Bellen aus, das so gar nicht zu ihrer zickigen Eleganz passen wollte. »Weil Sie es wert sind? In Ordnung. Sagen wir fünfzehn.«
»Sergeant Chin hat mir geraten, mir erst den Vorschuss zu sichern«, setzte Bree in freundlichem Ton hinzu.
Tullys dunkle Augen blitzten auf. »Was um alles in der Welt haben Sie denn mit diesem elenden kleinen Dreckskerl zu schaffen?«
»Er glaubt auch, dass Ihr Mann ermordet wurde.«
»Aber er glaubt, dass ich es war.« Tully trank den Scotch zur Hälfte aus. »Gegen ihn wurde eine einstweilige Verfügung erlassen, wissen Sie. Er darf nicht in meine Nähe kommen und muss mindestens zweihundert Meter oder so Abstand halten. Kennen Sie das Musical Les Misérables ? Wo dieser eine Typ dem anderen Typ nicht von der Pelle rückt?«
»Inspektor Javert«, sagte Bree.
»Genau. Also Sergeant Chin ist mein Javert. Und ich? Ich bin Russells Javert. Ich werde erst Ruhe geben, wenn ich den Mörder meines Mannes gefunden habe. Und dann …« Ihre dunklen Augen funkelten. Sie tippte gegen den Computer. »Hier drin befinden sich noch ein paar interessante Informationen über Sie. Bei Ihren ersten Fällen in Savannah haben Sie zwei Morde aufgeklärt. Und genau das, Miss Brianna Winston-Beaufort, sollen Sie auch für mich tun.«
Irgendwo – vielleicht im Sideboard – verbarg sich eine Uhr, deren leises Ticken die Stille akzentuierte, die im Zimmer herrschte.
Bree überlegte, ob sie diese Frau wirklich als Klientin haben wollte. Das war höchst fraglich, da sich Bree in erster Linie Tullys totem Ehemann verpflichtet fühlte und die Möglichkeiten eines Interessenkonflikts zu zahlreich waren, als dass man über sie hinwegsehen durfte. Außerdem stellte die Frau vor ihr ein Konglomerat einander widersprechender Impulse und Verhaltensweisen dar. Bree mochte sie nicht besonders. Tully gab sich mal herrisch, mal arrogant, mal unhöflich. Aber wenn es eine Grundvoraussetzung für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts wäre, dass er Sympathie für seine Klienten empfand, würden drei Viertel aller Rechtsanwälte Georgias arbeitslos sein.
Doch immer, wenn Bree sicher war, dass sie Tullys mutwillige Rücksichtslosigkeit nicht länger zu ertragen vermochte, brach unerwartet Tullys Humor durch.
Und fairerweise musste man sagen, dass Tully im vergangenen Jahr eine Menge durchgemacht hatte.
»Ich brauche einen Vorschuss«, sagte Bree voller Entschiedenheit.
Tully presste die Lippen
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