Rächerin der Engel
leichter machen. Aber das tun sie nie.«
»Von Geistern heimgesuchte Klienten sind wohl was ganz Alltägliches für Sie, wie?«, fragte Tully ironisch. »Ich weiß Ihr Lippenbekenntnis zu schätzen, Bree, aber so weit brauchen Sie sich nicht aus dem Fenster zu lehnen. In klaren Momenten frage ich mich, wie verrückt ich eigentlich bin. Aber wissen Sie was? Das ist mir scheißegal. Ich will Ergebnisse haben, das ist alles. Also kommen wir endlich zum Thema. Verdächtige.«
»Vielleicht sollten wir mit der Frage cui bono anfangen«, schlug Bree vor. »Wem nützt sein Tod? Das ist bei der Untersuchung eines Verbrechens immer eine der Grundregeln.«
»Sie meinen, wer erbt? Ich natürlich.«
Bree dachte an den Scheck, der auf die Bank auf den Cayman-Inseln ausgestellt war.
»Aber ich hätte wesentlich mehr davon, wenn Russ noch am Leben wäre. Sie wissen doch, dass Rutger in letzter Minute mit einem Kredit aufgetaucht ist. Wenn Russ am Leben geblieben wäre, hätten wir uns aus der Affäre ziehen können.«
»Geld scheint eines der stärksten Motive zu sein«, sagte Bree. »Zusammen mit Liebe und Rache. Hatten Sie zum Beispiel ein Verhältnis mit Mr. van Houghton?«
Tullys Lachen klang ziemlich boshaft. »Das hatten wir beide, Russ und ich. Schockiert Sie das, Miss Winston-Beaufort? Rutger brauchte Russ nicht umzubringen, um an mich heranzukommen. Er hatte uns beide genau da, wo er uns haben wollte.«
Bree glaubte eigentlich nicht, dass sie leicht aus der Fassung zu bringen war. Dennoch war sie jetzt schockiert. Und Eifersucht war eine nicht zu unterschätzende Kraft. Sie kritzelte van H. auf ihren Notizblock und machte beharrlich weiter. »Dann haben Sie noch die Parsalls erwähnt.«
»Diese Leute«, sagte Tully verächtlich, »und da Sie gerade dabei sind, können Sie auch noch diesen kleinen Dreckskerl Jameson auf die Liste setzen.«
»Sonst noch jemand?«
Tully schüttelte den Kopf. »Ich habe ausgiebig darüber nachgedacht. Wer immer diese Sache geplant hat, hat Grips – und eine Wut auf Russ und mich. Ich kenne eine Menge Leute, die uns hassen, und einige darunter mit Grips. Aber die Leute auf Ihrer Liste sind die Einzigen, für die beides zutrifft. Die Parsalls und Jameson. Die haben Russ gehasst.«
Ein Motiv war, wie Bree wusste, kein Beweis, solange man nichts über die Mittel und die Gelegenheit wusste und konkrete Fakten fehlten. Immerhin hatte sie einen Anhaltspunkt.
»Sie werden sich diese Leute genauer ansehen wollen, stimmt’s?« Tully trank ihr Glas Scotch aus. »Ich werde es Ihnen leicht machen. Am Freitag gebe ich eine Party, um die Players hier in Savannah einzuführen. Jeder auf dieser Liste …«, sie zeigte auf Brees Notizblock, »… hat eine Einladung erhalten. Und jeder wird da sein. Sie kommen alle in dieser Woche mit dem Flugzeug her. Sie wollen Sie sicher alle nacheinander sehen, oder? Ich werde dafür sorgen, dass sie in Ihr Büro kommen. Falls Sie tatsächlich eins haben.« Sie knallte ihr Glas auf den Schreibtisch. »Also liefern Sie mir Ergebnisse, Bree. Und zwar bald.«
Wo Alph, der heilge Fluss, verlief
Durch Höhlen, unermesslich tief,
Zu sonnenlosem Meer.
Coleridge, »Kublai Khan«
»Inspizientin?«, sagte Antonia. »O nein! Und was ist mit dem Vorsprechen?«
Bree ließ den Kopf auf den Küchentisch sinken und seufzte. »Bevor man rennt, muss man laufen lernen. Und nicht umgekehrt.«
»Was zum Teufel soll das denn heißen?«
»Dass man sich alles hart erarbeiten muss. Du kannst doch nicht erwarten, bei einer Theatertruppe gleich eine Hauptrolle zu bekommen, am allerwenigsten bei einer so renommierten wie den Savannah Shakespeare Players. Du musst dich hocharbeiten, und zwar von …« Bree wurde plötzlich bewusst, dass sie sich verplappert hatte. Sie blickte zu Sascha hinüber, der mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck vor seinem Futternapf saß.
»… ganz unten«, ergänzte Antonia bitter. »Genau da bin ich, und da werde ich auch bleiben. Ganz unten.«
»Sascha hat Hunger«, erwiderte Bree. »Im Kühlschrank ist noch Hühnchen mit Reis. Misch ihm doch ein bisschen davon unter sein Trockenfutter.«
»Mir ist nicht ganz klar, warum ich das tun sollte«, grummelte Antonia. »Meistens holt er sich doch sein Futter selbst aus dem Beutel.« Sie hockte sich neben den Hund und kraulte ihm den Kopf. »Du kluges Hundchen, du.« Sie zog den Beutel mit dem Trockenfutter unter dem Küchentresen hervor und schüttete Sascha eine Portion in seinen blauen Plastiknapf.
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