Rächerin der Engel
und verharrte mitten in der Luft. Bree vermochte nicht mit Sicherheit zu sagen, wie weit die Erscheinung von ihr entfernt war. Immerhin war sie so nahe, dass Bree etwas erkennen konnte.
»Franklin?«, sagte sie. Jäh zerriss ihre Stimme die Stille. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und tat einen Schritt nach vorn.
Bree.
Die Stimme war so leise, dass sie sie kaum hören konnte. Trotzdem war sie sicher, dass es die seine war. Oder?
Breeee.
Links von ihr schob sich etwas Riesiges heran und hielt inne. Wartete. Dunkelheit und Stille lasteten wie ein Gewicht auf ihr, das ihr die Luft aus den Lungen presste.
Dann hörte sie das Geräusch von Flügeln. Ein langsames, bedrohliches Rauschen.
Über ihr kreiste etwas. Stieß auf sie herab. Sie zog den Kopf ein und taumelte zurück.
Hilfesuchend tastete Bree im Dunkeln nach Saschas Kopf.
Bree .
Eine zweite Stimme, eisenhart, kalt wie das Grab und von gewaltiger Kraft. Eine Stimme, die nichts Menschliches an sich hatte. Der weiße Nebel vor ihr schrumpfte zusammen und verschwand. Dann entstand zu Brees Füßen ein eitergelber Lichtstrom, der sich in die Höhe wand und nach ihr zu suchen schien. Die Luft füllte sich mit Leichengestank. Plötzlich war ein Knurren zu hören (das nicht von Sascha stammte!), ein monströses Brüllen.
Um Bree herum brach die Hölle los. Etwas zerrte an ihrem Arm … sie sprang panikartig zurück …
… und fiel trudelnd nach unten, immer weiter nach unten, umgeben von Schwärze, Gebrüll und Gestank, bis ihr die Sinne schwanden.
Ein Licht, das ihr in die Augen schien, und eine unbekannte Stimme brachten sie wieder zu sich. »Madam?«, sagte die Stimme. »Madam? Sind Sie in Ordnung, Madam?«
Blinzelnd öffnete Bree die Augen. Sie saß zusammengesunken in einem Drehstuhl, der an einem schlichten Schreibtisch aus Stahl stand. Ein grauer Aktenschrank nahm die Wand vor ihr ein. Mit Hilfe des Wachmanns von unten setzte sie sich auf. Das Fenster des Zimmers, in dem sie sich befand, ging zur Bay Street.
Draußen war es dunkel, der Mond stand hoch am Himmel.
Sie war in Franklins Büro.
Sascha legte ihr die Pfote aufs Knie.
»Mensch«, sagte der Wachmann. »Sie haben vielleicht fest geschlafen.«
»Tut mir leid.« Bree holte tief Luft und erhob sich.
»Schlafen Sie immer so fest wie eine Tote?«, fragte der Wachmann mit besorgtem Gesichtsausdruck. »Hab ziemlich lange gebraucht, um Sie wach zu kriegen. Sie sind ewig nicht wiedergekommen, Madam, und als mich mein Kollege ablösen wollte, hab ich zu ihm gesagt, ich muss schnell mal rauf in den fünften Stock und nach Miss Beauford sehen. Sie haben sich an was verletzt«, fügte er hinzu, indem er vorsichtig nach ihrem Arm griff.
Bree betrachtete ihren Arm. Etwas oder jemand hatte offenbar versucht, sie zu packen. An ihrem Handgelenk waren Blutstropfen.
»Beaufor t «, stellte Bree richtig. »Ich heiße Beaufor t . Tut mir wirklich leid, Ihnen so viel Mühe gemacht zu haben.« Sie tat so, als müsse sie gähnen. »Ich hab mich nur kurz hingesetzt, und dabei bin ich wohl eingeschlafen. Hab in der letzten Zeit einfach zu viel und zu lange gearbeitet. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie extra hochgekommen sind und mich geweckt haben.«
»Kein Problem. Aber jetzt sollten Sie lieber nach Hause gehen. Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
»Nein, nein. Ich wohne hier ganz in der Nähe.« Sie schüttelte ihm die Hand. »Und nochmals vielen Dank.«
»Gehen Sie schon mal vor. Ich mach nur noch das Licht aus und komme dann nach.«
Bree sah sich im Zimmer um. Der Fußboden war mit strapazierfähigem grauem Teppich ausgelegt, die Wände hatten einen langweiligen beigefarbenen Anstrich. Bei den Möbeln handelte es sich um ganz gewöhnliche Büromöbel aus Stahl. Wahrlich kein Ort, an dem man monströse Erscheinungen erwartete.
Sascha stupste sie mit der Schnauze an. Sie ging in den Gang hinaus und wartete auf den Wachmann. Dann folgte sie ihm zum Fahrstuhl, um schweigend mit ihm nach unten zu fahren. Nachdem sie sich nochmals bei ihm bedankt hatte, brachte er sie zur Tür und ließ sie hinaus.
Unter einer Laterne saßen Miles und Bellum, deren Augen im Laternenlicht rötlich-gelb funkelten.
»Mir war doch so, als hätte ich euer Bellen vorhin wiedererkannt«, sagte Bree. »Ich glaube, ihr seid genau zur rechten Zeit aufgetaucht. Danke.«
»Wuff«, erwiderte Miles. Er presste seinen großen Kopf gegen ihre Hüfte und dirigierte sie sanft nach Hause.
Ob Hölle droht, das Paradies uns
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