Räuberleben
Leibwäscherin überreichte dem Herzog mit diskret abgewandtem Gesicht die frische Unterwäsche. Hinter der spanischen Wand zog er sich um, sprühte sich zuvor gründlich mit Eau de Toilette ein. Schon seit langem hatte er es durchgesetzt, bei den intimsten Verrichtungen ohne Hilfe auszukommen. Nun ja, er war etwas aus der Form geraten, aber es ging immer noch. Er schlüpfte in die dunkelrote ledergefütterte Culotte, zog sie bei eingezogenem Bauch hoch und knöpfte sie zu. Dann trat er, schwer atmend, in Strümpfen, Hemd und Hose hinter der Wand hervor, und nun ging es nicht anders, als dass man ihm erst in die wollene Weste half, danach in den marineblauen, mit Goldstickerei gesäumten Jagdrock. Die beiden Herren gingen um den Herzog herum, stellten sicher, dass der rubinrote Seidensamt des Krageninnenfutters und die Armelaufschläge sichtbar waren. Einander Anweisungen zuflüsternd, zupften sie Falten zurecht und zogen die Rockschöße etwas weiter hinunter.
Schwerfällig setzte sich der Herzog auf den herbeigeschobenen Sessel. Hinten, an verschwiegener Stelle, biss und brannte es wieder. Zum Teufel mit all diesen Beschwerden! Auch den Spiegeln ringsum war nicht auszuweichen, außer er hätte sie mit Tüchern zuhängen lassen. Sie zeigten einen fast Sechzigjährigen mit verlebten Zügen, der seine Korpulenz zwar einschnüren, aber kaum noch tarnen konnte. Immerhin verbarg die Perücke, die ihm nun der Hoffriseur behutsam aufsetzte, wie gelichtet sein Haar schon war, und die kniehohen, geschmeidigen Jagdstiefel, in die man seine Füße und drallen Unterschenkel zwängte, gaben ihm doch einen Anschein von Eleganz. Für diese Kleidung war es eigentlich viel zu heiß. Der Herzog spürte, wie ihm der Schweiß schon jetzt aus allen Poren drang; aber der Pflicht der standesgemäßen Repräsentation, sei es nun auf der Jagd oder im Ministerrat, war ebenso wenig zu entgehen wie dem eigenen Spiegelbild. Er musterte es aus den Augenwinkeln, er hob die Arme, er drehte sich um sich selbst, er hörte mit leichtem Amüsement die übertriebenen Beifallsäußerungen des Kammerherrn und des Maitre de la Garderobe. Er hatte Durst. Das Glas Schaumwein, das man ihm reichte, lehnte er ab, er wollte Wasser. Zwei Gläser stürzte er in einem Zug herunter, bereits wurde ihm die Ankunft der ersten Gäste gemeldet. Es war Zeit für seinen Auftritt.
Gerade wollte er den Hirschfänger umschnallen, der die ganze Unbequemlichkeit noch steigern würde, da trat der Kammerherr näher zu ihm und sagte halblaut, ein Leibdiener des Freiherrn von Kniestedt, des Kammerpräsidenten, wünsche ihm dringend etwas mitzuteilen. Als der Herzog widerwillig nickte, stand der Mann, schwitzend in seiner Livree, schon vor ihm und kündigte Seiner Durchlaucht in devoter Haltung an, der Freiherr höchstpersönlich sei, einer dringenden Angelegenheit wegen, im Anmarsch. Kaum hatte der Herzog ihn weggeschickt, begleiteten zwei weitere Lakaien den ersten Minister zu ihm herein. Wie oft schon hatte Karl Eugen ihn innerlich verwünscht, wenn er zu ungelegener Zeit Staatsgeschäfte verhandeln wollte oder die immer gleichen Beschwerden der Landstände in quälender Länge vortrug. Der Freiherr galt mit seinem römischen Profil als schöner Mann, und das stimmte den Herzog in diesem Moment keineswegs versöhnlich, zumal von Kniestedt heute gar nicht zu den Eingeladenen zählte; er hatte ohnehin nie verhehlt, dass Lustjagden ihm missfielen.
»Was wollen Sie?«, fuhr er den Besucher an. »Steht Stuttgart in Flammen? Oder ist ein Krieg ausgebrochen?«
Der Freiherr verbeugte sich ein zweites Mal. Er kannte die scharfe Ironie des Herzogs. So schlimm sei es nicht, sagte er. Es handle sich lediglich um eine Entscheidung, die seiner Meinung nach so rasch wie möglich zu fällen sei. Deshalb getraue er sich, Durchlaucht drei Minuten zu stehlen.
»Dann los, beeilen Sie sich!« Der Herzog zurrte die Schnalle des Gürtels fest, an dem der Hirschfänger in seiner ziselierten Scheide hing. Mit einer Gebärde schickte er die übrigen Anwesenden hinaus.
Es wäre höflich gewesen, den ersten Diener Württembergs zum Sitzen aufzufordern; doch der Herzog ließ ihn stehen und stand selber auch, seinen Ärger zügelnd, ohne aber vermeiden zu können, dass ihm die Hitze immer stärker in den Kopf stieg.
Der Freiherr nannte einen Namen: Hannikel; ob Durchlaucht sich an Hannikel erinnere? Der Räuber und Mörder Hannikel und seine Bande würden vom Oberamtmann Schäffer aus Sulz seit
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