Räuberleben
den Herzog verfasste. Aber da gesellten sich der Leutnant Bräunlein und der Hatschier Hilzinger zu uns, um die Lage zu besprechen. Auch der Gerichtspräsident und Stadtvogt Bawier war herangeschlurft und zeigte selbst in dieser Situation keine Eile, was Schäffer aufs höchste gegen ihn aufbrachte und zur Bemerkung veranlasste, er werde unter diesen Umständen die Kosten für Hannikels Unterbringung keinesfalls übernehmen. Das führte zu einem kurzen Wortgefecht zwischen den beiden, doch dann kamen sie überein, die Ergreifung Hannikels sei wichtiger als die Kostenteilung. Trotzdem stritten sie weiter, und zwar darüber, ob jetzt schon, bei Dunkelheit, Truppen ausschwärmen sollten oder ob es nicht klüger sei, bis zur Morgendämmerung zu warten. Schäffer setzte sich mit der Meinung durch, man müsse so rasch wie möglich, also noch während der Nacht, wichtige Wegstellen, Abzweigungen, Brücken besetzen. Bei Tag dann müssten die Streifen in die Höhe steigen, denn Hannikel wolle bestimmt über die Berge entkommen. Bawier versprach, tagsüber zu diesem Zweck, nebst Soldaten, Churer Freiwillige einzusetzen.
Es war kalt, es nieselte, und in den leichten Regen mischten sich ab und zu ein paar Schneeflocken, die aber gleich wieder schmolzen. Ich stand verwirrt mitten in diesem Trubel, im unruhigen Fackel- und Laternenschein, und mein zweites Ich, lieber Freund, sah wie im Traum zwischen all den Lichtern Nachtfalter herumschwirren und -torkeln, es sah sie hilflos an Laternen prallen, in offenen Flammen verbrennen, dieses Ich glaubte sogar im ganzen Lärm ringsum Flügel aufzischen zu hören, und das Schicksal dieser fragilen Wesen trieb mich auf widersinnige Weise zu Tränen. Seltsam, was uns in schwierigsten Momenten beschäftigt.
Eiligst brachte ich zu Papier, was Schäffer mir diktierte. Als die Briefe abgesandt waren, schlug es fünf Uhr von der Stadtkirche. Ich war so erschöpft, als hätte ich ganze Nächte nicht geschlafen, aber statt mir ein wenig Ruhe zu gewähren, verknurrte mich mein Dienstherr dazu, mich als einer von vielen mit dem Pfleger Matheis auf die Suche nach Hannikel zu begeben, denn zwei Augen mehr, und gerade meine scharfen, könnten sich als entscheidend erweisen, so fertigte Schäffer mich ab, als ich in Andeutungen widersprach. Meine Augen, wollte ich sagen, seien dafür geeignet, kleinste Buchstaben zu erkennen, nicht aber, Fährten zu lesen; meine Füße seien überdies äußerst empfindlich. Ich wurde nicht erhört und musste mit.
Es war ein schlimmer Tag. Man gab mir einen Gaul, von dem ich dauernd abzurutschen drohte. Mit größter Mühe hielt ich mich an der Seite des Pflegers Matheis, eines freundlichen, aber doch ziemlich ungeduldigen Mannes. Unser Tross bestand aus elf Leuten, und ich war das Bleigewicht, das sie mitzuschleppen hatten, bin ich doch, wie Schäffer, ein schlechter Reiter. Wo wir überall durchkamen, weiß ich nicht. Es ging hinauf und hinunter; bei allen Häusern außerhalb der Stadt klopfte Matheis die Bewohner heraus, fragte, ob sie etwas gehört oder gesehen hätten, was auf den Flüchtigen hindeutete. Ja und nein, hieß es, wir wurden hierhin und dorthin gewiesen, wir kamen zu Bauern, wir kamen in den Schnee, ließen die Pferde stehen, kämpften uns durch Unterholz in die Höhe, schlitterten über Kuhdreck und schneebedeckte Weiden wieder hinunter. Nach zwei Stunden schon war ich völlig durchnässt, am liebsten hätte ich mich hingelegt und alle viere von mir gestreckt. Von meinen halberfrorenen Füßen und den aufgescheuerten Fersen will ich gar nicht reden. Aber ich biss die Zähne zusammen und versuchte, die Schmerzen zu vergessen. Auf dem einen oder anderen Vorsäß, wie hier die Almen heißen, forderte Matheis die Männer auf, sich an der Suche zu beteiligen. Das taten sie mit Eifer; den Hannikel, sagten sie grimmig, würden sie ohne Federlesens totschlagen, wenn er ihnen in die Hände fiele, und der Pfleger Matheis musste sie ermahnen, der Justiz nicht vorzugreifen. Zu einem dünnen Kaffee reichte es irgendwo in einer engen Stube, zu mehr nicht. Das Gehetze ging weiter, aber von Hannikel keine Spur, alle Hinweise entpuppten sich als Falschmeldungen. Dafür machte mein zweites Ich, das schmerzfrei über dem ersten schwebte, unversehens eine Entdeckung, die auch Sie, lieber Freund, hoffentlich verblüffen wird. Wir waren hoch über dem Tal, überquerten ein halb zugeschneites Bachbett voller Geröll und wollten zu einer Hütte, wo wir Kühe gesehen
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