Räuberleben
stimmen mit ein, und Hannikel selbst nickt beflissen und beteuert, dass auch er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, wenn sie auf seinem Weg läge, doch er müsse erst sein Gewehr suchen gehen und dann weiter in den Süden, nach Mailand wolle er. Ob es einen Übergang ins nächste Tal gebe?
Er muss die Frage noch einmal stellen, sie verstehen ihn schlecht, einer der Jungen flüstert dem andern zu, der Mann sei wohl ein Welscher.
Das sei schwierig, antwortet der Senn, gefährlich auch. Nach Vättis im Taminatal komme man kaum bei diesen Verhältnissen, nicht auszuschließen, dass man auf Bären stoße. Er rate zum Abstieg ins Rheintal und zum Umweg über Chur.
Es ist beinahe zum Lachen, dass ihn der Mann ins Gefängnis zurückschicken will, doch Hannikel tut, als stimme er ihm zu. Er bedankt sich umständlich für die Gastfreundschaft, wird von einem der Jungen hinausbegleitet, die Frau hat kein Wort zu ihm gesagt. Ich rieche vielleicht nach dem Turm, denkt er, nach Moder und Ratten.
Jetzt muss er eine Strecke auf den eigenen Spuren zurück, um keinen Verdacht zu erregen, und dann in einem großen Bogen die Alp umgehen. Aber wie soll er die Richtung bei bedecktem Himmel finden? Eine Weile folgt ihm der Hund, der nun freundlich ist, mit dem Schwanz wedelt und den Kopf gekrault haben will. Haben die Älpler ihm wohl geglaubt? Ist er noch fähig, arglose Leute für sich einzunehmen? So geht er wieder durch morastige Erde, durch nasses Gras, er geht und weiß nicht, wohin, er geht und hat das Gefühl, dass er von Schritt zu Schritt schwerer wird und stärker hinkt. Einen knotigen Ast nimmt er sich als Stock, notfalls dient er auch als Knüppel. Hört man nicht Stimmen irgendwo? Warnende Zurufe? Hunderte sind jetzt gewiss schon unterwegs, um ihn aufzuspüren, in die Enge zu treiben, eine Treibjagd, wie es in diesem Landstrich noch keine gegeben hat. Aber er wird sein Leben teuer verkaufen. Sollen sie ihn erschießen, dann ist er wenigstens gestorben wie ein Mann.
Wieder im Schnee jetzt, so viel Schnee im frühen September, was für ein Aberwitz. Baumloses Gelande, Nebel. Wie viel Zeit ist inzwischen vergangen? Drei Stunden, vier? Hinüber ins nächste Tal, das wäre die Rettung, doch da beginnt der Fels; schartiger, steil aufragender Fels, er müsste klettern können wie eine Gemse, um weiterzukommen. Den Passweg, wenn es ihn gibt, hat er verfehlt. Die Hände gleiten ab an nassem Stein und Moos. Er schlägt sich das Knie an einer Kante auf, unterdrückt ein Stöhnen, er horcht. Bildet er sich die Stimmen bloß ein? Nein, es ist wahr, sie kommen näher, und er sieht eine Reihe von Männern, halb verhüllt durch herumziehende Nebelschwaden, dann wieder entschleiert. Von weiter unten, von dort, wo die letzten Arven wurzeln, rücken sie heran, in Treibjagdformation, er hat es ja gewusst, sie haben ihn gesichtet, und sie wollen ihn lebendig, sonst hätten sie bereits geschossen. Sie schwenken ihre Knüppel und schreien ihm zu, er solle sich ergeben. Zwei Hunde hecheln voraus, und nun muss er doch klettern, will er nicht, dass sich die Viecher in ihn verbeißen. Er zieht sich hoch, verliert seine Decke dabei. Er verschnauft auf einem kleinen Vorsprung, da sind die Hunde schon zur Stelle, schnappen nach ihm, erreichen ihn aber nicht, und er lacht sie aus in seinem Elend. Weiter hinauf kommt er nicht, er würde fallen, und so holen ihn auch die Verfolger ein, mehr als ein Dutzend, zwei Jäger, die übrigen sind Bauern und Sennen, unter ihnen erkennt er den Mann von der Hütte und einen der Söhne.
»Dass du der Hannikel bist, hätte ich nie im Leben gedacht«, ruft der Senn.
»Der bin ich nicht«, entgegnet Hannikel und nimmt seine letzte Kraft zusammen. »Ihr irrt euch alle. Ich heiße Kilian Schmid. Warum wollt ihr einen Menschen fangen, der wie ihr die Freiheit liebt?«
»Er ist der Hannikel«, sagt einer im Jägerrock gehässig. »Ich war mit dem Grafen von Salis, als wir die Bande bei Zizers verhaftet haben. Diese Gaunervisage vergisst man nicht. Und jetzt komm herunter, du Lump, sonst schieße ich dir ins Bein.«
Flieh jetzt, flieh! Aber es ist zu spät. Der Jäger mit der Narbe auf der Stirn beginnt, zu ihm heraufzuklettern. Hannikel tritt nach ihm, doch der Jäger packt seinen Fuß, Hannikel rutscht und fällt hinunter. Zusammen mit dem Jäger purzelt er durch den Schnee, bleibt benommen liegen, während die Verfolger ihn umringen und die Hunde an kurzer Leine halten. Einer setzt ihm das Knie auf
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