Räuberleben
ihm festgebunden hätten, zudem stünden zwei weitere mit geladenem Gewehr bei der Tür und außerhalb noch einmal vier für die ganze Nacht. Das werde doch - dabei lachte er geradezu hämisch - eine weitere Flucht verunmöglichen. Ich stimmte ihm zu, sagte aber, es gehe dem Oberamtmann Schäffer darum, möglichst schnell - und dies im Auftrag Seiner Durchlaucht, des Herzogs Karl Eugen - mit Hannikel nach Sulz zu reisen, und darum sei ich hier. Einem Aktuar, sagte der Landvogt, indem er beide Daumen unter den Gürtel schob, händige er eine solch kostbare Beute nicht aus, da müsse sich der Herr Oberamtmann persönlich herbemühen. Außerdem bestehe er darauf, dass ihm alle Unkosten erstattet und auch die zwanzig Louis d’or ausbezahlt würden, die Chur auf Hannikels Ergreifung ausgesetzt habe. Mit mir, so schloss der Landvogt, verhandle er nicht, das tue er nur von Gleich zu Gleich. Was konnte ich machen? Immerhin brachte ich den Landvogt dazu, einen Eilboten nach Vaduz zu schicken, mit der Nachricht, Schäffer solle sich am nächsten Morgen so früh wie möglich auf den Weg nach Sargans begeben.
Ich wurde von Dienern hinausgeführt, besser, -spediert. Die Demütigung brannte in mir, aber sie wäre noch größer gewesen, wenn ich so spät zurückgekehrt und Schäffer ohne Hannikel unter die Augen getreten wäre. Ich sorgte für die Fütterung der Pferde, und meine Männer bekamen zumindest eine lauwarme Kohlsuppe. Widerwillig wies man uns Schlafplätze in der Schlossscheune zu und überließ uns ein paar Decken. Ich grub mich neben den Soldaten ins Heu ein, die Notdurft mussten wir wie Vieh am Güllenablauf verrichten. Ich schlief kaum, nieste hundertmal vom Heustaub, kratzte mich blutig wegen der Flohstiche. Unter den Insekten sind allein die Blutsauger verdammenswert, da stimmen Sie mir gewiss zu, verehrter Freund. Hannikel, durch ein paar Mauern von mir getrennt, ging es wohl weit schlechter; er konnte (und kann) sich jetzt nicht mehr darüber hinweglügen, dass die Inquisition auf ihn wartet.
Hier setze ich wieder ab, ich werde gerufen.
Abends spät. Ich nehme den Faden wieder auf. Kaum war es hell, fuhr ich Schäffer entgegen. Er war aber noch früher aufgestanden und, als ich am Rhein eintraf, gerade dabei, mit der Fähre überzusetzen. Er behandelte mich mit ausnehmender Schroffheit, und erneut hörte er mir gar nicht zu, als ich ihm die Gründe für die Verzögerung zu erläutern versuchte. Zurück in Sargans, begleitete ich ihn zum Landvogt und wunderte mich darüber, dass dieser sich nun plötzlich wie ein umgestülpter Handschuh verhielt, den Oberamtmann sehr höflich empfing und die Frage der Entschädigung mit keinem Wort mehr berührte, was, wie ich später erfuhr, damit zusammenhing, dass der Graf von Salis frühmorgens vorbeigekommen war und alle Kosten, die Württemberg berechnet werden sollten, übernommen hatte. Ach, mein lieber Freund, es kommt doch sehr darauf an, in welchen Stand man hineingeboren wurde. Ein Schreiber muss schlucken, was ihm in den Mund gestopft wird.
Ich hörte vom Landvogt, es sei schwierig gewesen mit Hannikel, er habe beim Transport auf Gaffer und Häscher eingeredet und eingeschrien, er habe behauptet, unschuldig zu sein, ein gelernter Jäger, keineswegs der, für den man ihn halte, man dürfe ihn auf keinen Fall ausliefern, sonst geschehe ihm bitteres Unrecht. Erst im Verlies sei er verstummt. Dort hinunter führte uns nun der Landvogt selbst über mehrere Treppen mit ausgetretenen Stufen. Die schwere Doppeltür wurde für uns geöffnet, dahinter brannte ein Licht, und da saß Hannikel, an eine Säule gekettet und in der Tat an zwei Wärter gefesselt. Die Haare hingen ihm tief ins Gesicht, über das sich blutige Striemen zogen, die Lippen waren geschwollen.
»Hier bin ich, Hannikel«, sagte Schäffer in geradezu freundlichem Ton. »Jetzt wird man über dich richten.«
Auf Schäffers Erscheinen war Hannikel nicht gefasst, sein Erschrecken so groß, dass er, wie ich zu hören glaubte, mit den Zähnen zu klappern begann. Vielleicht hatte er sich doch ausgemalt, dass er in der Schweiz bleiben und mit einer milden Strafe davonkommen würde. Er wäre zusammengesackt, wenn ihn die vielen Fesseln nicht gehalten hätten. Mühevoll formte er einige Wörter, die sich für mein Ohr zu einem undeutlichen »Ich bin unschuldig« zusammensetzten. So hatte es auch Schäffer verstanden, denn er entgegnete: »Dann hättest du nicht fliehen müssen, Jakob Reinhardt. Wir werden
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