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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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lange. Am Anfang summten sie bloß, doch die Töne suchten sich Wörter, die Wörter sprachen vom Himmel, vom Mond, so schön war das Lied, dass Hannes ruhig wurde und sich von selbst niederlegte. Dieterle schlief auf dem Stroh bei Käther, aber doch nicht zu nahe bei ihr, auch zu Dennele, die seine Nähe suchte, hielt er eine Armlänge Abstand. Es war besser so, obwohl sein Körper etwas anderes wollte. Vom Nachthafen in der Ecke, den er benutzt hatte, kam ein Gestank, den es im Wald nie gegeben hatte.
    In seinen Träumen war er frei, er schwang sich von Baum zu Baum wie das Affchen, das er einst bei Schaustellern gesehen hatte, er machte Purzelbäume über weiches Wiesengras, dann flog er sogar, mit den Armen flatternd, über einen See hinweg, doch am anderen Ufer wartete der Mann, der Schreiber, und trug Dieterle auf den Schultern davon, wohin, wusste er nicht, nur laut lachen hörte er ihn plötzlich, und das begriff er nicht, weil ihm selbst ums Weinen war. Einmal weckte ihn ein Jammern von Urschels Kleiner auf, es wurde jedoch rasch abgelöst von Schnalz- und Schlürflauten, und Dieterle schlief wieder ein.
     
    »Wie lange bleiben wir hier drin?«, fragte er am nächsten Morgen die Mutter.
    »Lange«, sagte sie. »Bis sie das Urteil gefällt haben. Sie lassen uns manchmal hinaus in den Hof, du wirst sehen.«
    Aber Freigang gab es an diesem Tag nicht. Irgendwann trat ein Wärter zu ihnen herein. Die Frauen rutschten an die Wand, wendeten das Gesicht von ihm ab. Er hatte etwas Weißes, ein Bündel, in der Hand, das er ungeduldig schwenkte. Wer hier der Junge sei, fragte er, der Sohn vom Hannikel. Dieterle wollte sich erst nicht melden, tat es dann doch, weil der Wärter ärgerlich wurde und weil Käther ihm zuflüsterte, er solle nicht bocken. Der Wärter warf ihm das Bündel zu, und Dieterle hatte Glück, dass es ihm nicht entglitt. Weich war es, aus Stoff.
    »Vom Schreiber Grau«, knurrte der Wärter. »Mit Erlaubnis des Oberamtmanns. Damit du was Anständiges zum Anziehen hast.«
    Ratlos und verlegen befingerte Dieterle das Geschenk, denn das war es wohl. Dann streckte er es, dem stärksten Impuls folgend, dem Wärter wieder entgegen.
    »Ich will es nicht«, sagte er.
    Vom Wärter kam ein verdrießliches Lachen. »Nimm es, du dummer Kerl, du hast es weiß Gott nötig.«
    Damit machte er kehrt und schloss hinter sich die Tür mit einem lautstarken Ruck und fast so lautem Schlüsselgeklirr.
    »Was ist es?«, fragten die Frauen neugierig, allen voran Urschel und Dennele. »Zeig her! Tu doch nicht so verschämt!«
    Er ließ sich von Urschel das Stoffbündel aus den Händen nehmen, sie entfaltete es, schüttelte es ein bisschen, zeigte es den anderen. »Ein Hemd«, sagte sie und zog es an den Ärmeln auseinander, »ein schönes weißes Leinenhemd!«
    »Ich will es nicht«, wiederholte Dieterle eigensinnig, auf seine nackten Füße starrend, die sich knapp von den Fliesen abhoben.
    »Sei nicht dumm!«, sagte Käther, fast im Ton des Wärters.
    Sie redeten auf ihn ein, und Dieterle blieb nichts anderes übrig, als sein Hemd aufzuknöpfen - nur noch zwei Knöpfe waren daran -, es über den Kopf zu streifen und in das Geschenk des Schreibers zu schlüpfen. Urschel und Dennele halfen ihm. Die Ärmel waren ein bisschen eng, sonst saß es aber wie angegossen, und die Frauen stießen bewundernde Rufe aus: »So ein schöner Stoff! So gut geschnitten! Du leuchtest ja richtig! Einen Spiegel solltest du haben!«
    Dieterle spürte das kühle Leinen auf der Haut. »Was will er von mir?«, fragte er.
    Käther legte ihm den Kragen ordentlich zurecht. »Du meinst den Schreiber? Du schuldest ihm nichts.
    Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann danke ihm. Mehr brauchst du nicht zu tun.«
    »Eine neue Hose wäre auch nicht schlecht«, sagte Urschel scherzhaft. »Samt neuen Seidenstrümpfen. Das Hemd ist ja vielleicht doch gebraucht.«
    »Und ich, ich möchte einen Hut mit roten Bändern«, sagte Dennele und klatschte in die Hände, als hätte man ihr den Hut schon aufgesetzt.
     
    Stuttgart und Ludwigsburg, 25. Oktober 1786
     
    Ein Ritt hinaus ins Land, über Stoppelfelder, durch die verfärbten Wälder hier und dort, das war der Plan des Herzogs. Und Bühler, der lästige Bühler, sollte ihn, nebst ein paar Dienern und Hunden, zu Pferd begleiten, von ihm aus bis Ludwigsburg, wie Bühler es wünschte, und ihm dabei vortragen, was er von Amtes wegen für wichtig hielt. Im dortigen Zucht- und Waisenhaus liege einiges im Argen, hatte

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