Räuberleben
eine alte Frau glaubte er plötzlich neben sich zu haben und erschrak darüber. War denn seine Mutter nicht immer schön und jung gewesen? Er bat um Wasser, eine der Frauen im Raum schob eine halbvolle Schüssel zu ihm, er trank daraus. Das Wasser hatte einen üblen Geschmack und stillte doch den Durst.
»Wo ist Hannikel jetzt?«, fragte Käther.
»Im Turm«, sagte Dieterle, »man lässt ihn nicht mit den anderen zusammen.«
»Wie geht es ihm?«
»Der Dad ist tapfer, ein richtiger rom baro«, sagte Dieterle und beschrieb, wie Hannikel mit Gleichmut die ruppige Behandlung ertrage. Er verschwieg aber die schreckliche Ledermaske, obwohl Käther alles berichtet haben wollte: von der Verhaftung in Zizers bis zu Hannikels Flucht, von den schlimmen Tagen in Chur bis zur langen Reise nach Sulz. Sie seufzte zwischendurch, lachte sogar, als Dieterle schilderte, wie der Dad die Wächter in Chur überlistet hatte, doch als sie erfuhr, in welch traurigem Zustand man ihn von der Alp ins Tal gebracht hatte, war auch sie den Tränen nahe. Käther erzählte ihrerseits, wie sie im Neckartal aufgegriffen worden waren, sie verfluchte Mattes und Hansjörg, die beiden Abtrünnigen, die Schäffers Leute zu ihrem Versteck geführt hatten. »Wir schicken ihnen nachts alle bösen Geister, die wir kennen«, sagte sie, während die anderen zustimmend mit der Zunge schnalzten, »die schlimmsten Träume schicken wir, sie sollen sich gehetzt fühlen von uns und eingekreist, o ja, das sollen sie!« Sie ließ Dieterles Hände los, hob die ihren zu einer beschwörenden Gebärde. »Aber hütet euch vor Schäffer, ihr alle. Er ist klug wie eine Schlange. Er kann gütig sein, gerade beim Verhör, und das richtet euch auf und gibt euch neuen Mut. Aber seine Güte ist Gift, glaubt mir. Mich hat er dazu gebracht, ihm die Lagerplätze um Gmünd anzugeben, er versprach dafür, Dennele zu schonen und sie nicht von mir zu trennen. Daran hat er sich bis heute gehalten, aber wenn es ihm nützt, wird er sein Versprechen brechen, so sind sie, die Gadsche. Oh, ich habe bereut, was ich ausgeplaudert habe, ich habe es ja nur deinetwegen getan.« Nun zog sie auch Dennele zu sich heran und zerzauste ein wenig ihr Haar. »Hast du gehört, was ich für dich alles tue?« Schweigend schmiegte sich Dennele an sie.
Seit diesem ersten Verhör, so berichtete Käther weiter, habe Schäffer sie in Ruhe gelassen. Er werde aber alle Fäden spinnen, um Hannikel darin zu fangen und ihn an den Galgen zu bringen. In Dieterle regte sich wieder das Wesen mit den vielen Zähnen, schnappte nach seinen Eingeweiden, die sich krümmten und zusammenzogen. Der Dad durfte nicht sterben! Er hatte weggehört, wenn Bastardi und Wenzel darüber flüsterten; jetzt, mit dem Mund seiner Mutter so nahe am Ohr, ging das nicht mehr. Er legte den Kopf auf Käthers Oberschenkel und ließ sich von ihr den Nacken kraulen. So froh war er gewesen, wieder bei ihr zu sein, so überglücklich, und nun wusste er auf einmal nicht mehr aus noch ein. Einen lebendigen Dad wollte er, keinen toten, keinen Mulo, keinen Geist, der ihn nachts heimsuchte! »Sie dürfen den Dad nicht töten«, sagte er und hörte, dass Dennele neben ihm leise weinte, es war ihr gedehntes und hohes Wimmern, das er schon früher nicht ertragen hatte. »Hör auf damit!«, fuhr er sie an und versetzte ihr, ohne hinzuschauen, einen Ellbogenstoß, auf den sie mit einem quiekenden Schmerzenslaut antwortete. Aber danach blieb sie still, schnaufte bloß noch laut.
Die Tür schepperte, ein großer Topf mit Suppe wurde durch den Spalt geschoben. Die Frauen hatten alle einen Holzlöffel in ihrem Rock verborgen, den sie nun hervornahmen. Käther bestand darauf, dass Dieterle ihren zuerst benutzte. Er tat es ihr zuliebe, die Suppe schmeckte scheußlich, nach schweißigen Kleidern, nach fauligem Zeug, mehr als ein paar Löffel brachte er nicht herunter.
Es wurde Nacht, eine einzige, schon fast heruntergebrannte Kerze gab ihnen ein wenig Licht. Die Frauen versuchten sich mit dem übriggebliebenen Wasser zu waschen, und Dieterle musste sich gegen die Wand drehen, damit er nichts Nacktes sah. Er war eben doch schon zu alt für diese Frauengemeinschaft. Der kleine Hannes indessen, Theres’ zweijähriger Sohn, hüpfte vergnügt zwischen ihnen herum, plapperte vor sich hin und kümmerte sich weder um entblößte Beine noch um nackte Brüste. Die Frauen sangen ein Schlaflied für Hannes und ein wenig auch für Dieterle; Urschels Kleine schlief schon
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