Räuberleben
unterwegs waren, wichen dem Tross aus, zogen ehrerbietig ihre Hüte. Ein kleiner Junge rief, vom Vater dazu genötigt, ein schrilles »Vivat!« und wurde durch ein Nicken des Herzogs belohnt.
Bühler verbreitete sich über die Schönheit der Landschaft im zarten Morgenlicht, wies aber auf die tiefen Wühlspuren hin, die überall von Wildschweinherden hinterlassen worden waren. So werde die Herbstsaat zerstört, sagte Bühler, das sorge für Unmut. Man müsste den Bauern endlich erlauben, Zäune aufzustellen, unter Umständen auch, den Wildschweinbestand eigenhändig zu dezimieren. Karl Eugen mochte gar nicht hinhören, er kannte den Sermon. »Unmöglich, das wissen Sie doch!«, schnitt er Bühler das Wort ab; für die Parforcejagden brauche man offene Flächen, und das Jagdprivileg für den Adel sei nicht antastbar, sonst verlöre er an Respekt. Unangenehm war, dass Franziska in letzter Zeit zuweilen argumentiert hatte wie Bühler. Was die Lustjagden betraf, hatte er ihr doch schon nachgegeben. Weshalb mischte sie sich auch dauernd in seine Männergeschäfte ein! Bühler entgegnete etwas. Zum Glück war er wieder zurückgefallen, der aufkommende Wind verwehte seine Worte.
Der Tross näherte sich Zuffenhausen, über Stammheim sollte es weitergehen. Es waren schmucke Dörfer; man sah ihnen den bescheidenen Wohlstand an. Dem Herzog vorzuwerfen, er sauge die Landschaft aus, war eine Verleumdung. Und höchst ärgerlich und ungerecht war, dass die dauernden Vorwürfe der Landstände sogar seine Regierung infiziert zu haben schienen.
Als Bühler sich wieder an seiner Seite befand, fragte der Herzog unvermittelt, ob es Neues über Schiller zu berichten gebe. Die Frage war ihm sozusagen entwischt wie manchen Leuten eine Flatulenz bei Tisch; der Name schien nur darauf gelauert zu haben, unerwartet ans Tageslicht zu dringen.
Bühler schwieg eine Zeitlang. »Sie meinen den Dichter?«
»Wen sonst? Den Kerl, der mir seine ganze Bildung verdankt und nun durch sein Geschreibsel meinen guten Namen beschmutzt.«
»Wo er sich momentan aufhält, wissen wir nicht. Aber wir sammeln, was er publiziert. Kürzlich ist in der Zeitschrift, die er gegründet hat, eine Erzählung erschienen, die sich mit einem Kriminalfall im Württembergischen beschäftigt.«
Karl Eugens Pferd schnaubte. »Ach so? Dann geht es wohl wieder gegen mich?«
»Nein. Es ist die Geschichte eines skrupellosen Räubers, genannt der Sonnenwirt. Er wurde vor einem Vierteljahrhundert gefasst und hingerichtet. Schiller hat Namen und Umstände verändert, aber worauf er zurückgreift, ist klar. Der Verbrecher aus Infamie heißt die Geschichte. Gut geschrieben, zweifellos. Aber Schiller sucht, wie in seinen Dramen, wieder allzu sehr das Sensationelle, das Grausame, selbst wenn hier die Hauptfigur am Ende bereut.«
Karl Eugen straffte sich. »Vor einem Vierteljahrhundert? Zu meiner Zeit also? Ich erinnere mich nicht.«
Bühler hielt sich mit Mühe an der Seite des Herzogs. »Der Oberamtmann Abel aus Vaihingen hat damals diesen Mann gefasst. Sein Sohn war einer von Schillers Lehrern. Von ihm hat er offensichtlich die Geschichte.«
»Und Schiller wütet nicht wieder gegen Tyrannei und Willkür?«
»Er lässt durchschimmern, dass ein Mordgeselle auch ein Opfer widriger Umstände sein kann. Im Fall seines Räubers ist es so, dass er sich nach einer Kette unglücklicher Ereignisse bewusst für die Verbrecherlaufbahn entscheidet.«
Der Herzog stieß einen knurrenden Laut aus. »Wie auch immer. Von diesem unbotmäßigen Subjekt ist weiterhin Schlimmes zu erwarten. Der Mann scheint von der Räuberei besessen zu sein. Am besten wäre es, Schiller in eine Falle zu locken, wie wir’s vor Jahren mit dem Schreiberling Schubart gemacht haben, und ihn dann auf den Hohenasperg zu verfrachten. Dort könnten die beiden meinethalben so aufrührerisch miteinander philosophieren, wie es ihnen gefiele.«
Bühlers Stimme ging vom Grämlichen ins Beschwörende über. »Von einem solchen Vorgehen rate ich dringend ab, Durchlaucht. Schubarts lange Haft stößt ringsum zunehmend auf Unverständnis. Dutzende von Aufrufen zu seiner Freilassung sind außerhalb Württembergs in letzter Zeit veröffentlicht worden. Ein neuer und ähnlich gelagerter Fall würde unseren Ruf noch weiter schädigen. Es ist ja genug, dass wir Schillers Schriften innerhalb unserer Grenzen verboten haben.«
»Seien Sie nicht naiv, Herr Baron. Die werden über die Grenzen geschmuggelt. Aber ich meine es ja nicht
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