Räuberleben
wirklich ernst.« Der Herzog zwang sich zu einem jovialen Lachen. »Mir ist schon lange klar, dass ein gefangener Schubart uns mehr schadet als einer, dem ich einen Ehrenposten verschaffe. Ich spiele mit dem Gedanken, ihn nächstens zu begnadigen. Und Schiller soll schreiben, was er will, und seine Schurken in den Himmel heben. Dafür bestrafen wir die realen Räuber mit aller Schärfe. Hannikel wird baumeln. Genau das wollen unsere Gesetze, und das wollen auch meine Untertanen von mir: dass mörderisches Unrecht gesühnt wird.« Manchmal, wenn ihm solche imposanten Sätze aus dem Mund kugelten, schien Karl Eugen für kurze Zeit, wie sein eigener Zwillingsbruder, aus sich selbst herauszutreten. Es war ein unangenehmer und gespenstischer Vorgang. Dann sah er sich von außen und mochte sich nicht. Er wusste doch, dass seine fromme Franziska unter jedem Todesurteil, das er unterzeichnete, tagelang litt, und niemals hätte er seinem Minister gestanden, dass auch er, der Landesherr, schlecht schlief, bevor er einen Verurteilten in den Tod schickte. Es war gescheiter, dieses Thema fallenzulassen. Der Herzog gab dem Pferd die Sporen und ließ Bühler weit hinter sich. Der Begleitschutz, zu dem er aufschloss, wich zur Seite. Er sprengte in stolzer Haltung an ihnen vorbei, als wäre er noch der ungestüme junge Herrscher von einst, und ignorierte alle Schmerzsignale des gealterten Körpers. Eine Weile ritt er im Schatten, durch lichten Wald, die Morgenkühle prickelte im Gesicht, die Pferdehufe raschelten durch dürres Laub. Dann kam wieder eine Sonnenfläche, das Gras wie hingekritzelt, Krähen flatterten schimpfend auf, und der Geruch, der in seine Nase stieg, zeugte davon, dass irgendwo ein Kadaver lag. Das war gut so. Er lebte. Mit allen Fasern lebte er. Auf dem Rücken eines Pferdes konnte man sich unsterblich fühlen.
Der Tross erreichte Ludwigsburg kurz nach halb zwölf. Der Herzog wollte kein unnötiges Aufsehen erregen und befahl, man solle unverzüglich zur Anstalt reiten, die seit einigen Jahren offiziell Zucht-, Arbeits-, Waisen- und Tollhaus hieß und dem Schlosspark gleich gegenüberlag. Es wäre ihm allerdings unangenehm gewesen, allzu nahe am Schloss vorbeizukommen, das er einst Hals über Kopf verlassen hatte. Ställe und Opernhaus seien in einem verwahrlosten Zustand, hatte man ihm gesagt, außerdem nehme man es ihm immer noch übel, dass so viele Bedienstete aus Ludwigsburg Stellung und Lohn verloren hätten. Besser, damit gar nicht konfrontiert zu werden. Deshalb näherte er sich der Anstalt auf Umwegen, von der Rückseite her, wo es in der Umfassungsmauer ebenfalls einen Eingang gab. Auf dem kleinen Vorplatz versammelten sich dennoch rasch ein paar Leute, um dem Landesherrn ihre Aufwartung zu machen. Schwerfällig stieg er vom Pferd, grüßte nach allen Seiten, seine Blicke wanderten herum, ohne jemanden zu erfassen. Bühler zitterte vor Anstrengung, als ihm die Diener aus dem Sattel und den Steigbügeln halfen. Er hatte versucht, dem Herzog auf der letzten Strecke die Vorteile eines gut geführten Waisenhauses vor Augen zu halten, hatte sich aber, seiner eigenen Ungeschicklichkeit und der Ungeduld des Herzogs wegen, so oft unterbrechen müssen, dass überhaupt kein zusammenhängender Vortrag daraus geworden war. Mit Mühe fasste er sich und wischte ein paar welke Buchenblätter vom Reitrock.
Dem Vorsteher der ganzen Anstalt, dem Pfleger und Kammerrat Georgii, hatte man bereits die überraschende Ankunft des Herzogs gemeldet, ebenso dem Leiter des Waisenhauses, Pfarrer Schöll, und dem Waisenhauslehrer, Israel Hartmann. Die drei Herren hatten sich rasch umgekleidet und waren zum Empfang herbeigeeilt. Karl Eugen übersah die Verbeugungen, überhörte die vielen Entschuldigungen, sagte aber zu Bühler, der nervös neben ihm herging: »Es ist schmutziger hier, als ich gedacht habe.« Er meinte offenbar den gestampften, teilweise schlammigen und von Fußspuren durchfurchten Boden des Innenhofs. Man habe, entgegnete sogleich Georgii, das Geld bisher leider nicht gehabt, den Hof solide zu pflastern; dies sei aber, sofern die Rentkammer dem Antrag stattgebe, ein Projekt für nächstes oder übernächstes Jahr.
»Geld! Geld!«, murrte der Herzog. »Ich hoffe doch, man wird mir noch mit etwas anderem kommen als mit Geldforderungen. Ich bin weiß Gott kein Goldesel.« Die beflissene Zustimmung des Kammerrats schien ihn nicht zu interessieren. Sie kamen an der Waschküche vorbei, aus der ein starker
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