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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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ein paar Schritte nebeneinanderher, stiegen, nahezu im selben Takt, die Treppe hinunter. Was wird denn jetzt aus dem Jungen?, hätte Grau den Oberamtmann fragen wollen. Er zog es vor zu schweigen. Die morgendliche Zurechtweisung hatte ihm überdeutlich klargemacht, wo er seinen Platz hatte und wie eng begrenzt er war.
    Da blieb Schäffer stehen, gerade bei der Eingangstür, die Grau für den Vorgesetzten öffnen wollte, und sagte halblaut, als verrate er ein Geheimnis: »Sie sollten nicht denken, Schreiber Grau, dass es mir Freude macht, ein Kind in die Enge zu treiben, ganz im Gegenteil.«
    Grau, aus der Fassung gebracht, fiel keine passende Antwort ein. Mit der Hand hielt er sich an der Türklinke fest.
    Indem er an Grau vorbeisah, fuhr Schäffer fort: »Es macht mir auch keine Freude, Verbrecher, von denen einer der Vater des Kindes ist, in den Tod zu schicken.« Er hüstelte, das Hüsteln ging in ein Husten über, das ihn zwang, sich von Grau abzuwenden. Dann sprach er weiter, von Hustenpausen unterbrochen: »Man möchte ja gerne menschlich sein, Schreiber Grau, man möchte verzeihen, man möchte helfen und die Fehlbaren zum Guten führen, o ja. Aber das geht nicht, und das wissen Sie auch. Die Pflicht stellt sich dazwischen, der Respekt vor dem Gesetz…« Schäffer entglitt die Stimme, er hielt nun die Hand vor den Mund, als wolle er sich daran hindern, weitere Geheimnisse auszuplaudern. Grau, der die Klinke immer stärker umklammerte, hatte den Drang wegzulaufen.
    »Gerechtigkeit, mein lieber Grau«, ließ sich Schäffer wieder vernehmen, »ist oft genug eine Frage des Blickwinkels, denn absolute Gerechtigkeit gibt es auf Erden nicht. So muss uns, selbst wenn wir darunter leiden, Richtschnur sein, was der Landesherr für Recht befindet. Dies nun, ach ja, dies nun…« Schäffer brach seinen Sermon, der eher einem Selbstgespräch glich, unvermittelt ab. Er straffte sich, verwandelte sich zurück in den distanzierten Mann, den Grau kannte, er richtete seinen Blick forschend auf den Schreiber und sagte in seinem gewohnten Ton: »Es ist gut, gehen wir.« Und Grau öffnete die Tür, ließ dem Oberamtmann den Vortritt, wie es sich gehörte, roch, als er ihn beinahe streifte, den Perückenpuder, der teurer war als sein eigener.
    Gemeinsam traten sie in den kühlen Maiabend hinaus. Graus Blick fiel auf den Flieder, der im kleinen Garten gegenüber blühte; die violetten Blütentrauben waren nass und verströmten deshalb nur wenig von ihrem betörenden Duft. Es regnete aber nicht mehr. Grau war froh darüber, denn er stellte fest, dass er seinen Schirm droben beim Kleiderständer vergessen hatte. Ihre Wege trennten sich. Mit einem knappen Abschiedsgruß schlug Schäffer die Richtung seines Hauses in der Brucktorstraße ein. Grau ging mit hochgeschlagenem Rockkragen über den Marktplatz zum Mühlkanal. Er achtete nicht darauf, dass ihn einige Entgegenkommende freundlich grüßten. Sein Gang war schnell und doch unsicher wie der eines Halbblinden. Was sollte er nach alldem von Schäffer halten? Am quälendsten war, dass er nicht glaubte, ihm im Gespräch je gewachsen sein zu können. Die dunklen Wolken strichen tief über die Dächer hinweg; mancher Kamin schien die gedunsenen Leiber mit ihren wehenden Schleiern beinahe zu ritzen. Man sehnte sich nach Licht in diesen Tagen, sogar das neue Laub hatte jetzt eine Farbe, als wäre Aschestaub darauf gefallen.
    Wie würde es weitergehen? Die Verhöre waren abgeschlossen, die Geständnisse protokolliert. Schäffer musste in den folgenden Tagen die Anklageschrift diktieren und alles an die juristische Fakultät in Tübingen schicken, wo das Urteil gefällt und dann, durch den Landesherrn bestätigt, ans Sulzer Malefizgericht gesandt würde. So sprach man im Herzogtum Württemberg Recht bei Verbrechen gegen Leib und Leben. Bald würde Dieterle die Nachrieht erhalten, dass für seinen Vater der Strick vorgesehen war, etwas anderes kam nicht in Frage.
     
    Am selben Abend stritt sich Grau erbittert mit seiner Zimmerwirtin. Sie waren doch beide friedliebende Menschen, sagte er sich hinterher; was war nur in ihn gefahren? Dabei fing das Ganze harmlos an, die Witwe Schlosser zeigte sich erfreut darüber, dass er für einmal früh genug nach Hause kam und das Essen noch warm war. Er löffelte die Suppe am Küchentisch. Das hatten sie so vereinbart, am Salontisch wurde nur sonntags serviert. Vom Herd kam eine schöne Wärme. Die Witwe schnitt Brot für ihren Zimmerherrn, sie schöpfte

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