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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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schweren Rock aus, der unter den Achseln durchnässt war, und warf ihn auf das Parkett. Weshalb, zum Teufel, brachten es die Schneider nicht zustande, für den Sommer leichtere Stoffe zu verwenden? Es liege daran, hatte der Kammerherr behauptet, dass leichte Stoffe zu stark knittern würden, sie ließen keinen Schnitt zu, welcher der Statur und dem Rang des Herzogs gerecht würde. Eine Biene prallte mehrmals gegen die Fensterscheibe, taumelte im Sinkflug zu Boden; gewiss hätte Franziska sie zu retten versucht. Ach, Franzele! Sie hatte ihn gebeten, sie über den Prozess gegen die Hannikelbande auf dem Laufenden zu halten. Sie glaubte unentwegt an die Verbesserung des Menschengeschlechts und erwartete vom Herzog, dass er nichts unversucht lasse, um räuberische Individuen, sogar die allerschlimmsten, auf den Weg der Tugend zu bringen. Und nun sah er sich erneut gezwungen, ihr klarzumachen, dass die Staatsräson in solchen Fällen Milde nicht gestattete. Die Ergreifung der Bande und ihre Überführung nach Sulz hatte in ganz Europa Aufsehen erregt; die Verhöre hatten Schreckliches zutage gebracht. Weit herum würde es als Schwäche des Staates und also auch als die des Landesherrn ausgelegt, die Mörder eines württembergischen Grenadiers nicht mit dem Tode zu bestrafen. Bühler hatte ihm heute das Gutachten der Tübinger Fakultät überbracht, das dem endgültigen Urteil gleichkam. Es war aufgrund der Anklageschrift des Oberamtmanns und der Reprobation des bestellten Verteidigers zustande gekommen, und es plädierte auf Hinrichtung durch den Strang in vier Fällen, auf Festungshaft und längere Zuchthausstrafen in allen anderen. Der Herzog hatte das Recht, die Urteile zu mildern, sogar Begnadigungen auszusprechen; in den meisten Fällen bestätigte er, was die Tübinger Juristen beschlossen hatten.
    Er trat zum Schreibtisch, der die Mitte des Raums einnahm, und ging unschlüssig um ihn herum. Es war die Arbeit eines Pariser Ebenisten, mit schwarz lackierter Schublade und vergoldeten Löwenkopfgriffen. Die Mäuler schienen ihn, je nach Blickwinkel, hämisch anzugrinsen oder anzufauchen. Er wusste, warum: Auf der Tischplatte lag das Dokument, das er unterschreiben musste, und noch hatte er es nicht getan. Bei Todesurteilen hatte er in seiner vierzigjährigen Regierungszeit immer wieder gezögert, als despotischer junger Fürst, der mit Versailles wetteiferte, ebenso wie jetzt als alternder Mann, der glaubte, sich unter Franziskas Einfluss geläutert zu haben. Tausende von jungen Männern hatte er in den Militärdienst pressen lassen, sie an Preußen oder Frankreich und jetzt sogar an die Niederlande verkauft, um seinen Lebenswandel zu finanzieren. Er hatte seine Kritiker - allen voran den Landschaftskonsulenten Moser und den Dichter Schubart - gefangengesetzt und an den Rand des Todes getrieben. Auch Schiller hätte er in seinem Zorn einsperren lassen, wäre dem unbotmäßigen Schreiberling nicht die Flucht gelungen. Das war alles übel und unchristlich, wie ihm Franziska klargemacht hatte. Eine weit üblere Empfindung indessen verursachte ihm das Papier, das auf dem Schreibtisch lag. Es war klar, dass er unterschreiben würde, doch er schob es hinaus.
    Räuber und Mörder waren verachtenswert, menschliches Ungeziefer; man musste sie beseitigen. Und doch. Und doch. Wie viele waren im Lauf der Jahre gehenkt und geköpft worden mit seinem Einverständnis! Er konnte sich sagen, das Rädern habe er immer erst nach erfolgtem Tod bewilligt, er konnte sich sagen, gerade diebische Weiber aus der Sippe der Zigeuner habe er etliche Male begnadigt.
    Und doch standen ihm manchmal, wenn er schlecht schlief, verzerrte und blau angelaufene Gesichter vor Augen; es waren immer Einzelne, nicht Kompanien, die im Kampf zu Tode kamen. Wieder umkreiste er den Schreibtisch, als hielten die Löwenköpfe ihn auf Abstand. Er fürchtete sich davor, dass seine Gedanken zurückwandern würden ins Jahr 1738, und er wusste, dass ihn bei solchen Gelegenheiten nichts davor behütete, den Käfig, in dem der Tote hing, vor sich zu sehen und ihn zu riechen wie damals. An den plötzlichen Tod seines Vaters, Karl Alexander, erinnerte er sich kaum; er hatte ihn nur selten gesehen. Er wusste auch nicht mehr, wie es für das Kind gewesen war, nun als Thronfolger zu gelten und trotzdem bis zu seiner Mündigkeit dem Regenten, seinem vertrockneten Onkel und Vormund Karl Rudolf, gehorchen zu müssen. Unselig eingeprägt hatte sich aber die Geschichte mit Joseph

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