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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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Suppe nach, goss ihm das Bierglas voll, überhaupt strich sie dauernd in seiner Nähe herum und verströmte bei jeder Bewegung ihres faltenreichen Rocks den ihr eigenen Geruch.
    »Sie sehen kränklich aus, Herr Grau«, sagte sie nach längerem Schweigen, das bloß durch Schlürfgeräusche und das Hin und Her ihrer Schritte unterbrochen wurde. »Sie sollten sich nicht dauernd überarbeiten.«
    Grau neigte sich tief über den Teller. »Es gibt immer viel zu tun, Madame«, erwiderte er zwischen zwei Löffeln Suppe.
    »Man verlangt zu viel von Ihnen«, sagte sie. »Man darf einen Menschen doch nicht auspressen wie eine Zitrone.«
    »Es ist wegen der Verhöre«, sagte Grau und schob den leeren Teller ein wenig von sich weg. »Wir sind aber bald zu Ende damit, dann können wir zum Glück aufschnaufen.« Er flocht die Hände hinter dem Nacken ineinander, dehnte sich und gähnte.
    Sie schüttelte unmutig und doch mit einer Spur von Koketterie den Kopf, so dass ihre Zäpfchenlocken hin und her schwangen. »Und die ganze Arbeit bloß, weil dieses Gesindel so lange leugnet! Da wäre ich bei Gott dafür gewesen, kürzeren Prozess zu machen!«
    »Wir müssen Willkür vermeiden. Es sind nicht alle gleich schuldig.«
    »Ach was!« Die Witwe blies ihre Wangen auf und ließ die Luft mit einem verächtlichen Geräusch entweichen. »Dieses gottlose Zigeunerpack hat nichts anderes im Kopf, als uns zu bestehlen und zu betrügen. Und wenn man sich wehren will, wird man totgeschlagen. So ist es doch, oder nicht?«
    »Keineswegs«, sagte Grau verärgert. »Wollt Ihr Mundraub und Totschlag auf die gleiche Stufe stellen? Auch wer aus Not gegen das Bettelverbot verstößt, ist deswegen nicht gleich ein Schwerverbrecher.«
    Sie räumte resolut das Geschirr weg und begann 251
    am Schüttstein, in seinem Rücken, geräuschvoll zu hantieren. »Wenn einer von denen auf dem Markt auftaucht, mache ich einen weiten Bogen um ihn, selbst wenn er das schönste Porzellan feilbietet. Und dazu haben sie immer noch ihre Bälger dabei.« Ihr Ton war um ein paar Grade schriller geworden. »Man erkennt sie ja sogleich. Nie ließe ich einen über meine Schwelle!«
    Grau drehte sich auf dem wackligen Stuhl um, der seit Jahren als seiner gelten konnte; in seiner Stimme war ein unmerkliches Beben. »Und die Kinder? Was können sie dafür, dass sie in solche Verhältnisse hineingeboren wurden?«
    Sie warf das Geschirr herum, als wolle sie es mutwillig zerbrechen. »Kein falsches Mitleid!, sage ich. Und hört Euch bloß ein wenig in der Nachbarschaft um. Das sage nicht nur ich, das sagen alle. Die Zigeunerbrut ist doch schon von Anfang grundverdorben, genauso wie die Judenbrut, aber auf andere Weise.« Sie ließ ein hartes Lachen hören. »Wollt Ihr die Zigeunerkinder etwa zu braven Menschen machen? Das vergesst lieber gleich, Ihr seid doch ein allzu gutgläubiger Mann. Euch fehlt jemand, der Euch die Augen öffnet fürs wirkliche Leben!«
    »Was soll denn mit all den Zigeunern geschehen? Was schlagt Ihr vor?«
    Sie wandte sich Grau wieder zu und wedelte mit dem Geschirrtuch, als könne sie damit alle Gegenargumente verscheuchen. »Weg mit ihnen! Weg und über die Grenze! Aus den Augen, aus dem Sinn, sage ich.«
    »Wie dumm!« Nun konnte Grau nicht mehr an sich halten. Er war aufgesprungen und hatte dabei den Stuhl umgeworfen. »Über die Grenze! Etwas anderes fällt dem gesunden Menschenverstand nicht ein! Auch nicht, dass die Abgeschobenen schon in der nächsten Woche zurückgeschoben werden.« Und er wiederholte, etwas leiser: »Wie dumm, wie entsetzlich dumm!«
    Die Witwe Schlosser starrte ihn an. Plötzlich verzog sich ihr Mund, ihre Augen wurden feucht. »Ach, so ist das also. Der Herr Schreiber hält mich für dumm.« Sie wischte sich mit dem Geschirrtuch übers Gesicht, dämpfte so ihre Stimme. »Der Herr Schreiber hat ja keine Ahnung, was diese dumme Person alles für ihn tut. Dass sie ihn, zum Beispiel, bei den Nachbarn in Schutz nimmt. Die halten ihn nämlich für einen hochnäsigen Mucker, der sie auf der Straße nicht einmal grüßt.«
    Dieser Ausbruch überraschte Grau noch mehr als ihr Zigeunerhass. »Jetzt beruhigen Sie sich doch. Ich habe es nicht so gemeint. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für alle Ihre Dienste und…«
    »Das sagt sich so leicht daher«, fiel sie ihm ins Wort. Sie warf das Geschirrtuch über ihre Schulter und zwang sich zu einem Lächeln. »Man könnte die Dankbarkeit ja ganz anders bezeugen.«
    Grau ahnte, worauf sie

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